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15.11.2022
Abtreibungen bis zum Schmerzempfinden erlauben?
Ein Kommentar von Dr. Michael Kiworr
(Idea-Pressedienst) – Der katholische Moraltheologe und Bioethiker Prof. Roberto Dell’Oro von der Loyola Marymount Universität in Los Angeles hat in einer Rede erklärt, dass Abtreibungen bis zu bestimmten Fristen legal sein sollten – etwa bis zum Einsetzen des Schmerzempfindens beim ungeborenen Kind. Er begründet das mit der persönlichen Freiheit der Frau, die über den Verlauf ihrer Schwangerschaft selbst bestimmen können solle. Die Evangelische Nachrichtenagentur IDEA hat den promovierten Frauenarzt Michael Kiworr um eine Einschätzung gebeten:
„Eines ist sicher: Es gibt keinen festen Zeitpunkt, ab dem das Nervensystem „entwickelt“ wäre: Es ist wie in der gesamten Entwicklung des Menschen eine kontinuierliche und eben nicht „stufenweise“ Entwicklung.
Die Bildung des Nervensystems beginnt schon früh (etwa ab der dritten bis vierten Lebenswoche) mit der Ausbildung des Zentralen Nervensystems und des Rückenmarks. Dann folgt die Entwicklung des peripheren Nervensystems. Und dann wird dieses weiter ausgebaut, differenziert, es entstehen die Verbindungen und „Verschaltungen“. Zunächst sind Reflexe und das autonome Nervensystem (z. B. das Herz, das bereits in der dritten Woche zu schlagen beginnt) allmählich einsatzbereit und dann die Sensorik einschließlich der Ausbildung der Sinnesorgane und der willkürlichen Motorik.
Hier lässt sich eben keinerlei „Zeitpunkt“ bestimmen, ab wann eine bestimmte „Leistung“ vorhanden ist. Und dies ist eben auch nicht messbar wie außerhalb der Gebärmutter z. B. per Nervenleitgeschwindigkeit. In so frühen Stadien kann man zwar untersuchen, ob und wie viele Nerven und Nervenendigungen/Verbindungen vorhanden sind – freilich ohne sagen zu können, welche Auswirkungen und Empfindungen dies für das Kind bedeutet. Erst später kann man „messen“ oder sonografisch „sehen“, welche Reaktionen vorhanden sind, wenn das Kind z. B. auf Lärm mit Erhöhung der Pulsfrequenz „reagiert“.
Das lässt aber keine Aussage darüber zu, ab wann solche Reaktionen bereits früher vorliegen, die eben noch schwächer und weniger messbar sind. Und diese kontinuierliche Entwicklung setzt sich nach der Geburt weiter mit einer immensen Entwicklung des Gehirns sowie der Fein- und Grobmotorik fort.
Wenn man sich diese kontinuierliche Entwicklung genauer anschaut, ist es grundsätzlich möglich, dass Emotionen und Empfindungen wie Schmerz bereits ab der fünften Lebenswoche spürbar sind – aber wahrscheinlich noch sehr schwach – und sich dann kontinuierlich weiterentwickeln.
Grundsätzlich ist es auch fragwürdig, das Existenzrecht des Kindes von bestimmten „Leistungen“ des Nervensystems abhängig zu machen: Menschen im Koma, in Narkose oder am Ende ihres Lebens erbringen diese „Leistungen“ auch nicht. Das gilt auch für Menschen mit bestimmten Behinderungen oder Erkrankungen.“
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