Symbolfoto, © Sebastian Ständecke, www.pixelquelle.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen

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23.06.2009

Wenig Lob, viel Kritik: Stimmen zur Neuregelung von Patientenverfuegungen

Berlin (ALfA). Von den Politikern, Kirchen, Lebensrechtsgruppen und Verbaenden wurde das neue Gesetz zur Regelung von Patientenverfuegungen unterschiedlich aufgenommen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zeigte sich sehr erfreut ueber den Bundestagsentscheid. "Endlich gibt es mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Patientenverfuegungen. Vor allem die ueber 8 Millionen Menschen, die bereits eine Patientenverfuegung haben, koennen sich in Zukunft darauf verlassen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht gerade in einer Phase schwerer Krankheit beachtet wird. Ich freue mich sehr, dass es nach jahrelangem Ringen gelungen ist, die Patientenverfuegung gesetzlich zu verankern und damit die berechtigten Erwartungen von Millionen Buergerinnen und Buergern zu erfuellen", erklaerte Zypries in einer Pressemitteilung im Anschluss an die Abstimmung. "Alle Beteiligten brauchen klare Vorgaben und verlaessliche Regelungen, wenn sie ueber aerztliche Eingriffe bei Menschen entscheiden muessen, die ihren Willen nicht mehr selbst aeussern koennen. Oberstes Gebot ist dabei die Achtung des Patientenwillens. Die heute beschlossene Regelung enthaelt daher zu Recht keine Einschraenkung der Verbindlichkeit von Patientenverfuegungen. Sie gelten in jeder Lebensphase. Wir knuepfen die Beachtlichkeit des Patientenwillens weder an hohe buerokratische Anforderungen noch an Art oder Stadium einer Krankheit", so die Ministerin. Mit dem Gesetz sei sichergestellt, dass die Menschen in jeder Phase ihres Lebens selbst entscheiden koennen, ob und wie sie behandelt werden moechten. Zugleich sei gewaehrleistet, dass bei Missbrauchsgefahr oder Zweifeln ueber den Patientenwillen das Vormundschaftsgericht als neutrale Instanz entscheidet.

Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA), Dr. med. Claudia Kaminski, bezeichnete das neue Gesetz dagegen als eine "Katastrophe" sowohl fuer den Lebensschutz als auch fuer das Selbstbestimmungsrecht von Patienten am Lebensende. "Entgegen aller Mahnungen der Bundesaerztekammer, medizinischer Fachgesellschaften, der Kirchen und der Lebensschutzbewegung haben sich die Abgeordneten mehrheitlich fuer die schlechteste aller zur Wahl gestandenen Alternativen entschieden. Mit der behaupteten Selbstbestimmung hat das neue Gesetz allenfalls oberflaechlich etwas zu tun", erklaerte Kaminski in einer Pressemitteilung vom selben Tag. "Eine wahrhaft selbstbestimmte Entscheidung darueber, welche medizinische Massnahmen ein Mensch dulden will und welche nicht, setzt eine umfassende Beratung ueber die Moeglichkeiten und Grenzen von Therapien, ihre Vertraeglichkeit und moegliche Nebenwirkungen voraus. Genau dies sieht das beschlossene Gesetz jedoch ausdruecklich nicht vor", warnte die ALfA-Bundesvorsitzende. "Auch wenn der Staat sicher nicht die Pflicht hat, seine Buerger unter allen denkbaren Umstaenden daran zu hindern, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, so hat er doch Sorge dafuer zu tragen, dass Menschen in so sensiblen, Leben und Sterben betreffenden Fragen, keine Entscheidungen treffen, deren Tragweite sie - ohne Aufklaerung - unmoeglich in jedem Fall ermessen koennen", so die Aerztin. Auch hier versage das beschlossene Gesetz. Im Gegenteil: Mit ihm werde die in Zeiten knapper Kassen ohnehin voellig uebertriebene Angst von Menschen vor einer Uebertherapie schamlos ausgenutzt und - beabsichtigt oder nicht - der Gefahr Vorschub geleistet, dass Menschen mit dem, was sie in ihren Patientenverfuegungen kuenftig verfuegen, ihr eigenes Todesurteil abfassen. Aehnlich kritisch aeusserten sich die Christdemokraten fuer das Leben (CDL), eine Lebensrechtsinitiative innerhalb der Union.

Auch die Deutsche Hospiz Stiftung, die kurz zuvor noch eine grosse Kampagne gestartet hatte und Buerger dazu aufrief, in persoenlichen Briefen an die Abgeordneten zu appellieren, endlich ein Patientenverfuegungsgesetz zu erlassen, zeigte sich wenig erfreut ueber den angenommenen Gesetzentwurf. "Jahrelang haben wir gerungen. Wir haben zwar jetzt ein Gesetz, das besser ist als keins. Als Schulnote wuerde man aber nur ein "gerade versetzt" vergeben", erklaerte Eugen Brysch, Geschaeftsfuehrender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung in einer Presseaussendung. "Bisher wurde von Vormundschaftsgericht zu Vormundschaftsgericht unterschiedlich ueber lebensverlaengernde Massnahmen entschieden. Jetzt sind Leitplanken eingezogen worden. Allerdings ist die Beratung nur eine Empfehlung, so wird der Fuersorgepflicht des Staates leider nur ausreichend genuege getan. Denn echte Selbstbestimmung setzt Aufklaerung voraus", gab auch Brysch zu bedenken. Er mahnte zudem an, dass die praktische Arbeit jetzt erst beginne. "Schliesslich entscheiden sich die Menschen fuer eine Patientenverfuegung, weil sie Angst vor Pflege und Abhaengigkeit im Alter haben. Der beste Patientenschutz ist ein die Wuerde wahrendes Pflegesystem und nicht ein Patientenverfuegungsgesetz. Waehrend ein Patientenverfuegungsgesetz die Politik nichts kostet, wird eine reformierte Pflege die die Herausforderungen der naechsten zehn Jahre bewaeltigt, nicht zum Nulltarif zu haben sein", stellte Brysch klar.

Vertreter der beiden grossen Kirchen zeigten sich ebenfalls enttaeuscht ueber das neue Gesetz. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, bekraeftigte den Sinn einer Patientenverfuegung, da sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten entspricht. "Nach unserem Verstaendnis muss aber eine gesetzliche Regelung von Patientenverfuegungen wie die nun vorliegende, die einseitig die Selbstbestimmung des Patienten betont, genau daraufhin ueberprueft werden, ob sie dem vorab verfuegten Willen des Patienten und seiner individuellen Krankheits- und Sterbesituation gerecht wird. Nochmals betonen wir, dass Patienten im Wachkoma und Patienten mit schwerster Demenz sich nicht in der Sterbephase befinden", erklaerte Zollitsch.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, sieht in dem vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetz ueber Patientenverfuegung keine Verbesserung gegenueber der bisherigen Rechtslage. Er bedauerte in einer Presseaussendung, dass der Deutsche Bundestag sich unter mehreren Moeglichkeiten mehrheitlich fuer den unter dem Namen des Abgeordneten Joachim Stuenker eingebrachten Gesetzesentwurf entschieden hat. "Wir haben uns zwar grundsaetzlich fuer eine gesetzliche Regelung ausgesprochen, aber es war gerade der vom Abgeordneten Joachim Stuenker initiierte Entwurf, der in den Kirchen erhebliche Kritik auf sich gezogen hat", so Huber. Er wuerdigte die gehaltvolle Debatte, die der Abstimmung vorausging, gab aber ebenfalls zu bedenken, dass der Gesetzentwurf einseitig von einer zu eng gefassten Vorstellung von Selbstbestimmung ausgehe: "Die Balance zwischen Selbstbestimmung und Fuersorge stimmt nicht." Der Ratsvorsitzende erinnerte daran, dass bei allen Gesetzesvorhaben, ueber die ohne Fraktionszwang entschieden worden ist, der ernstliche Versuch gemacht worden sei, in der praktischen Umsetzung so weit wie moeglich auf andere Ueberzeugungen Ruecksicht zu nehmen. "Das Instrument der Patientenverfuegung ist von grosser Bedeutung. Nachdem die Richtungsentscheidung getroffen worden ist, muessen nun alle Moeglichkeiten ausgeschoepft werden, um wenigstens in der Umsetzung auch die kritischen Stimmen, insbesondere vieler Aerzte, so angemessen wie moeglich zu beruecksichtigen", so der EKD-Vorsitzende abschliessend.

Eine ausfuehrliche Betrachtung ueber die konkreten Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die bisherige Praxis bietet der Rechtsexperte Oliver Tolmein in seinem FAZ.NET Blog Biopolitik. Weitere Kommentare und Berichte zur Debatte gibt es im umfassenden Pressespiegel (siehe unten).

Weitere Informationen:

Patientenverfuegungen - Das neue Gesetz in der Praxis Die grosse parlamentarische Schlacht um die gesetzliche Normierung von Patientenverfuegungen ist geschlagen, jetzt steht die Phase der journalistischen Nachbereitung an.
Von Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 19.06.09
http://faz-community.faz.net/blogs/biopolitik/arch ive/2009/06/19/patientenverfuegungen-das-neue-gese tz-in-der-praxis.aspx

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