Symbolfoto, © Sebastian Ständecke, www.pixelquelle.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen

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11.11.2008

Schweizer Studie zeigt: Sterbehilfe zunehmend fuer nicht-toedlich Kranke

Zuerich (ALfA). In der Schweiz nehmen immer mehr Menschen, die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden, Suizidbeihilfe von Exit in Anspruch. Zudem lassen sich fast doppelt so viele Frauen wie Männer von den Sterbehilfeorganisationen Exit Deutsche Schweiz (Stadtzuercher Faelle) und Dignitas in den Tod begleiten. Zu diesem Schluss kommt eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Studie, die erstmals die Praktiken der beiden Organisationen untersucht und miteinander verglichen hat. Die Studie wurde jüngst im "Journal of Medical Ethics" veroeffentlicht und umfasst demnach fast alle Faelle der Sterbehilfeorganisation Dignitas sowie die Stadtzuercher Faelle von Exit Deutsche Schweiz, also circa ein Drittel derer Faelle. Grundlage fuer die Studie von Forschern der Universitaet Zuerich und der Zuercher Hochschule fuer Angewandte Wissenschaften (ZHAW) waren Untersuchungen zu 274 Faellen von Suizidbeihilfe durch Dignitas, bzw. 147 Faellen von Suizidbeihilfe durch Exit, die zwischen 2001 und 2004 vom Institut fuer Rechtsmedizin der Universitaet Zuerich abgeklaert wurden. Zusaetzlich verglichen die Forscher die Daten mit einer Studie, die alle 149 Faelle von Suizidbeihilfe von Exit von 1990 bis 2000 in der Stadt Zuerich untersucht hatte.

Jede Suizidbeihilfe ist meldungspflichtig und wird durch die Untersuchungsbehoerden geprueft. Unter Suizidbeihilfe versteht man die Bereitstellung oder Verschreibung eines toedlichen Medikamentes, das einer Person die Selbsttoetung ermoeglicht. In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid, solange diese nicht aus selbstsuechtigen Beweggruenden erfolgt (Art. 115 StGB), nicht strafbar und darf gemaess geltender Praxis nur urteilsfaehigen Personen geleistet werden. Das Schweizer Strafgesetz schreibt aber keine medizinischen Bedingungen vor. Demgegenueber erlauben die - gesetzlich nicht bindenden - Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) die aerztliche Beteiligung an der Beihilfe zum Suizid nur bei Patienten am Lebensende.

Die Forscher erhoben fuer ihre Arbeit u.a. Geschlecht, Alter, Zivilstand, Nationalitaet, medizinische Diagnose und Krankheitstypen von den Verstorbenen. Der Vergleich habe demnach deutliche Unterschiede zwischen Dignitas und Exit aufgezeigt. Waehrend Exit bei den untersuchten Faellen von 2001 bis 2004 mit einem Anteil von drei Prozent nur ausnahmsweise Suizidbeihilfe bei Auslaendern leistete, stammten bei Dignitas 91 Prozent aller in den Tod begleiteten Menschen aus dem Ausland. Dabei lag das Durchschnittsalter der Studie zufolge bei Dignitas mit 65 Jahren deutlich unter jenem bei Exit mit 77 Jahren. "Dieser Unterschied koennte daher ruehren, dass Sterbewillige aus dem Ausland genuegend fit sein muessen, um in die Schweiz zu reisen", erklaerte der Arzt und Medizinethiker Georg Bosshard, der die Studie leitete, in einer Presseaussendung der Schweizerischen Nationalfonds vom 4. November. Groesser war demnach bei Dignitas der Anteil von Menschen mit einer toedlichen Krankheit: 79 Prozent der Dignitas-Patienten litten an unheilbaren Krankheiten. Dazu zaehlten die Forscher zum Beispiel Krebs, multiple Sklerose und amyotrophe Lateralsklerose. Bei Exit habe der Anteil zwischen 2001 und 2004 dagegen nur 67 Prozent betragen.

Die uebrigen Patienten litten nicht an einer toedlichen Krankheit. "Meist waren das alte Menschen mit mehreren diagnostizierten Krankheiten, zum Beispiel rheumatische Beschwerden oder Schmerzsyndrome", sagte die Soziologin Susanne Fischer, die Erstautorin der Studie. Der Vergleich mit den Stadtzuercher Daten von Exit aus den neunziger Jahren zeige, dass diese Personengruppe deutlich groesser geworden sei. Von 1990 bis 2000 verzeichnete Exit 22 Prozent Sterbewillige, die nicht an einer toedlichen Krankheit litten. Zwischen 2001 und 2004 machten diese ein Drittel aller Faelle aus. Im gleichen Zeitraum sei bei Exit auch das Durchschnittsalter von 69 auf 77 Jahre gestiegen. "Lebensmuedigkeit und ein allgemein schlechter Gesundheitszustand haben also bei aelteren Menschen aus der Schweiz an Bedeutung gewonnen als Motiv dafuer, Suizidbeihilfe zu suchen", sagte Fischer. Der Grund für den Anstieg sei wahrscheinlich, dass die Sterbehilfeorganisation Exit aufgrund der grossen Nachfrage ihre Praxis gelockert habe. Exit habe in den neunziger Jahren angekündigt, sich für alte, lebensmüde Menschen öffnen zu wollen. Die auch von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) unterstützte Studie dokumentierte des weiteren, dass sowohl Dignitas als auch Exit in einzelnen Fällen bei psychisch Kranken Suizidbeihilfe geleistet haben. Dies gelte unter Experten als umstritten, zumal nur urteilsfähigen Personen Beihilfe geleistet werden darf. "In seinem Bericht muss der abklärende Arzt deshalb Stellung nehmen zur Frage der Urteilsfähigkeit", erklärte Bosshard. Bei den vorliegenden Fällen hätten offenbar auch die Untersuchungsbehörden die Sterbehilfe als rechtmässig beurteilt. Ihm seien jedenfalls keine Strafverfahren bekannt.

Die Untersuchung habe zudem gezeigt, dass bei beiden Organisationen in den letzten Jahren deutlich mehr Frauen als Männer Sterbehilfe in Anspruch nahmen. 2001 bis 2004 waren 64 Prozent der Dignitas-Patienten Frauen, bei Exit betrug der Anteil 65 Prozent. In den neunziger Jahren sei die Verteilung bei Exit mit einem Frauenanteil von 52 Prozent noch ausgeglichen gewesen. "Die Analyse der Gründe ist noch nicht abgeschlossen", sagte der Pflegewissenschaftler Lorenz Imhof. Die Forscher vermuten, dass ein Faktor die höhere Lebenserwartung von Frauen ist. Sehr alte Menschen hätten oft mit dem Leben abgeschlossen. Aus Suizidstatistiken sei auch bekannt, dass sich Männer häufiger selber umbringen, lebensmüde Frauen hingegen könnten sich eher an eine Sterbehilfeorganisation wenden.

Exit relativierte unterdessen in einer Pressemitteilung vom 4. November die Ergebnisse der Studie. Betrachte man die ganze Schweiz, steige die Zahl der von Exit in den Tod begleiteten Patienten ohne tödliche Erkrankung nicht an. Denn die Forscher hätten nur Fälle aus Zuerich untersucht, daher seien die Ergebnisse fuer die Schweiz nicht repraesentativ. Auch seien in der Studie teilweise falsche Schlussfolgerungen gezogen worden.

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