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19.07.2006

Der "Schwangerschaftsabbruch" nach Beratung nicht mehr "rechtswidrig, aber straffrei"?

In Karlsruhe ignoriert ein Senat die Rechtsprechung des anderen - Ein Kommentar von Bernward Büchner / Die Tagespost.

War für die Katz, was die Karlsruher Verfassungsrichter in ihrem Abtreibungsurteil von 1993 judiziert haben? Zur Erinnerung: Im Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992 war der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung durch einen Arzt innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis für "nicht rechtswidrig" erklärt worden. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts jedoch entschied 1993, Schwangerschaftsabbrüche, die nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dürften nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden.

Ausdrücklich ordnete er übergangsweise an, Paragraf 218 finde in den Fällen der Beratungsregelung "keine Anwendung". Die Richter fügten den Satz hinzu: "Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bleibt in diesen Fällen unberührt." In der Begründung des Urteils ist ausdrücklich von dem "verfassungsrechtlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs" die Rede. Dieses Verbot müsse in den Gesetzen unterhalb der Verfassung bestätigt und verdeutlicht werden, wenn nicht im Strafgesetzbuch, dann an anderer Stelle. Das sei unerlässlich, um das Bewusstsein von Recht und Unrecht zu stärken, ohne das ein Beratungskonzept einen Lebensschutz Ungeborener nicht bewirken könne. Um diesem Urteil zu entsprechen, heißt es nunmehr in Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs, der Tatbestand des Paragraf 218 sei unter den genannten Voraussetzungen der Beratungsregelung "nicht verwirklicht". Es gibt danach also kein strafrechtliches Verbot "beratener" Abbrüche.

Aber selbstverständlich bleibt es bei dem verfassungsrechtlichen Verbot einer solchen Tötung des ungeborenen Kindes. Demzufolge ist bei Menschen mit intaktem Rechtsbewusstsein allgemein davon die Rede, nach bescheinigter Beratung abzutreiben, sei "rechtswidrig, aber straffrei". Denjenigen, welche sich an der gesetzlichen Scheinberatung beteiligen, dient diese Formel als untaugliches Mittel zur Abwehr des Vorwurfs, sie leisteten Beihilfe zum Unrecht der Tötung des Ungeborenen. Nach einer kürzlich ergangenen, noch unveröffentlichten Entscheidung der Ersten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Mai 2006 -1 BvR 1060/02 -) ist die liebgewordene Formel "rechtswidrig, aber straffrei" jedoch eine glatte Lüge, deren Gebrauch womöglich gerichtlich untersagt werden kann.

Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Lebensschützer hatte vor der Praxis eines Abtreibungen durchführenden Frauenarztes Flugblätter verteilt, auf denen unter anderem zu lesen stand: "Wussten Sie schon, dass in der Praxis von Dr. K. rechtswidrige Abtreibungen durchgeführt werden?" Daraufhin verklagte der Arzt den Lebensschützer auf Unterlassen der Behauptung, dass er in seiner Praxis rechtswidrige Abtreibungen ausführe. Das zuständige Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung an das Oberlandesgericht blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof wies die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurück. Der Beklagte habe den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten Begriff der Rechtswidrigkeit hier in einer Weise verwendet, die eine "Prangerwirkung" gegen den als Einzelperson genannten Kläger erzeugt habe. Die darin liegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts des klagenden Arztes wiege hier schwerer als die Meinungsfreiheit des beklagten Lebensschützers. Der erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe, die schon gar nicht zur Entscheidung angenommen wurde.

In der gut 14 Seiten langen Begründung der drei beteiligten Richter des Ersten Senats, unter ihnen der Gerichtspräsident Papier, ist wörtlich zu lesen: "Die Äußerung, der Kläger nehme rechtswidrige und damit verbotene Abtreibungen vor, ist unwahr. Dieser führt vielmehr nach den Feststellungen der Zivilgerichte unstreitig nur Schwangerschaftsabbrüche unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch." Ein Großteil dieser Tötungen erfolgt jedoch mit Sicherheit nach der Beratungsregelung, deren Anteil insgesamt über 97 Prozent beträgt. Solche Tötungen unterfallen nach dem Urteil des Zweiten Senats von 1993 einem "verfassungsrechtlichen Verbot", das durch Gesetz (etwa für Ärzte) einem Schutzkonzept zuliebe nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Die entscheidenden Richter aber erwähnen dieses Urteil von 1993 mit keinem Wort, obwohl es mit Händen zu greifen war, dass der Beschwerde führende Lebensschützer, wie vom Oberlandesgericht immerhin erkannt, in seinem Flugblatt das "verfassungsrechtliche Verbot" meinte, von dem in diesem Urteil die Rede ist. Die mit dem Fall befasst gewesenen Gerichte haben allerdings die umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs der rechtswidrigen Abtreibung für maßgebend gehalten. Danach sei "rechtswidrig" und "verboten" nur eine strafbare Abtreibung. Träfe dies zu, wäre also das verfassungsrechtliche Verbot auch der nach Beratung erfolgenden vorgeburtlichen Kindstötung für die Umgangssprache und damit auch für das Bewusstsein der Menschen bedeutungslos, dann wäre auch dem letzten Rest an Hoffnung der Boden entzogen, das "Beratungskonzept" könne den gebotenen Lebensschutz Ungeborener gewährleisten.

Die Rechtswidrigkeit der Abtreibung wäre dann nur noch etwas für Gedankenspiele von Experten. Auf das Bundesverfassungsgericht ist nach dem jüngsten Beschluss kein Verlass mehr. Wer sich im Vertrauen auf das Urteil des Zweiten Senats der Formel "rechtswidrig, aber straffrei" bedient, an die bewusstseinsprägende Bedeutung eines verfassungsrechtlichen Verbots glaubt und es sich zur Aufgabe macht daran zu erinnern, dass die Straffreiheit "beratener" Kindestötungen an deren Unrechtscharakter entsprechend den Menschenrechten und den Grundrechten unserer Verfassung nichts ändert, wird vom Ersten Senat desselben Gerichts eines Schlechteren belehrt. Wenn in Karlsruhe der eine Senat die Rechtsprechung des anderen derart ignoriert, als handele es sich dabei um baren Unsinn, fehlt es offenbar am Respekt voreinander und am fairen kollegialen Umgang miteinander. Vor allem aber aus Gründen der Rechtssicherheit ist es nicht hinnehmbar, wenn die beiden Senate des höchsten deutschen Gerichts in ihrer Judikatur einander widersprechen. Möchte ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen abweichen, hat er das Plenum des Bundesverfassungsgerichts anzurufen. Ob hierauf im vorliegenden Fall verzichtet werden konnte, mag dahinstehen. Wenn in einer derart zentralen Frage wie der Rechtswidrigkeit der Tötung ungeborener Kinder die Rechtsprechung des Gerichts auseinander läuft, hat das für die Rechtsklarheit und das Rechtsbewusstsein jedenfalls verheerende Folgen.

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