Symbolfoto, © Sebastian Ständecke, www.pixelquelle.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen

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21.07.2008

Zum 75. Jahrestag des NS-Erbgesundheitsgesetzes: Humangenetiker-Gesellschaften raeumen Verantwortung deutscher Wissenschaftler an NS-Verbrechen ein

Berlin (ALfA). Beim Internationalen Kongress fuer Genetik in Berlin hat die Deutsche Gesellschaft fuer Humangenetik (GfH) in einer Erklaerung erstmals oeffentlich die Verantwortung deutscher Wissenschaftler fuer den Massenmord an behinderten Menschen im Nationalsozialismus eingeraeumt. Die Erklaerung wird von der Deutschen Gesellschaft fuer Genetik (GfG) uneingeschraenkt unterstuetzt und wurde beim Kongress am 14. Juli anlaesslich des 75. Jahrestages der Verkuendung des am 14. Juli 1933 in Berlin von der nationalsozialistischen Reichsregierung beschlossenen "Gesetz zur Verhuetung erbkranken Nachwuchses" veroeffentlicht. Laut offizieller Begruendung des NS-Gesetzes hiess es damals als Ziel: "So soll die Unfruchtbarmachung eine allmaehliche Reinigung des Volkskoerpers und die Ausmerzung von krankhaften Erbanlagen bewirken." Entgegen der Aussage, das Gesetz sei "eine wahrhaft soziale Tat fuer die betroffenen erbkranken Familien", habe es dem NS-Regime als Grundlage fuer eine systematische und gewalttaetige Missachtung fundamentaler Menschenrechte gedient. Die wahren Motive lagen jedoch in der biologistischen Auslese-Ideologie, heisst es in der Erklaerung. Die Verstuemmelung von vermutlich etwa 400.000 Menschen durch Zwangssterilisationen, in deren Folge mehrere tausend von ihnen zu Tode kamen, sei der ersten Schritt einer staatlich gesteuerten Entrechtung behinderter Menschen in Deutschland gewesen, die wenige Jahre spaeter in den Massenmord der "Euthanasieprogramme" muendete.

"An der inhaltlichen Vorbereitung und pseudowissenschaftlichen Begruendung dieses Gesetzes, sowie an der Ausfuehrung der Zwangsmassnahmen waren deutsche Aerzte und Wissenschaftler massgeblich beteiligt. Durch den Missbrauch ihrer wissenschaftlichen Autoritaet und durch ihre Mitwirkung an der Formulierung und Ausfuehrung des Gesetzes, unter anderem als Gutachter an den "Erbgesundheitsgerichten", haben auch Humangenetiker schwere Schuld auf sich geladen", heisst es in der Erklaerung der beiden Gesellschaften.

Das Verhalten der Humangenetiker sei umso unverstaendlicher, als auch beim damaligen Kenntnisstand der Genetik die biologische Unsinnigkeit der Eugenik offenkundig war. So war nach Angaben der GfH beispielsweise schon 1908 von Godfrey Harold Hardy in Grossbritannien und Wilhelm Weinberg in Deutschland mathematisch bewiesen worden, dass rezessive Krankheitsanlagen in jeder Population viel zu haeufig sind, als dass sie mit eugenischen Massnahmen aus dem Genbestand einer Population entfernt werden koennten. Ebenso sei bekannt gewesen, dass viele der im Gesetz aufgefuehrten "Erbkrankheiten", beispielsweise Alkoholismus, Epilepsie, Schizophrenie oder bipolare Psychosen, nur zum Teil genetisch bedingt sind und daher nicht Gegenstand eugenischer Massnahmen sein konnten. "Dieses von falschen Praemissen ausgehende Gesetz ist daher auch ein historisches Dokument des Versagens von Wissenschaftlern", so die beiden Gesellschaften.

Nach 1945 war die deutsche Humangenetik zunaechst von personellen und ideologischen Kontinuitaeten gepraegt. Erst in den sechziger und siebziger Jahren und insbesondere mit der Gruendung der Deutschen Gesellschaft fuer Humangenetik (GfH) 1989 habe sich ein bewusster Neubeginn mit einem Paradigmenwechsel des Faches vollzogen. Seither habe sich die Deutsche Gesellschaft fuer Humangenetik in mehreren Stellungnahmen, namentlich dem mehrfach aktualisierten Positionspapier der GfH nachdruecklich von jeder Form eugenischer Bestrebungen distanziert und "das Wohl des einzelnen Menschen und seiner Familie zum Massstab ihrer Taetigkeit" erklaert.

"Im Bewusstsein ihrer historischen Verantwortung bekennen sich die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft fuer Humangenetik zu ihrer Verpflichtung, in ihrem aerztlichen und wissenschaftlichen Wirken wie auch im oeffentlichen Diskurs fuer den Respekt vor allen Menschen in ihrer natuerlichen genetischen Verschiedenheit einzutreten. Dies bedeutet insbesondere eine Absage an jede Form von Diskriminierung aufgrund ethnischer Merkmale oder aufgrund von genetisch bedingter Krankheit oder Behinderung", heisst es. Medienberichten zufolge forderten die beiden Gesellschaften bei dem Kongress eine umfassende gesellschaftliche Debatte ueber vorgeburtliche Gendiagnostik.

Der 20. Internationale Kongress fuer Genetik tagte erstmals seit 1927 wieder in Deutschland. Zu der Versammlung wurden rund 2 000 Wissenschaftler aus aller Welt erwartet. Im Mittelpunkt des Kongresses vom 12.-17. Juli standen die neuesten Entwicklungen der Vererbungslehre bei Menschen, Tieren und Pflanzen, inklusive Stammzellforschung.


Weitere Informationen:

Auf dem Weg zu einer Eugenik von unten?
Von Ralf Mueller-Schmid
Alle fuenf Jahre versammelt sich die Elite der Genforscher zu einem internationalen Kongress, der diesmal auf Einladung der Deutschen Gesellschaft fuer Genetik in Berlin stattfand.
FAZ.NET 18.07.08
http://www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89 F2D797/Doc~E0242C1AD2D1D4FFC8B39EFB1B0B6C77B~ATpl~ Ecommon~Scontent.html

Interview: Vor 75 Jahren wurde das "Gesetz zur Verhuetung erbkranken Nachwuchses" verkuendet Am 14. Juli 1933 wurde das Gesetz zur Verhuetung Erbkranken Nachwuchses erlassen - es war das erste Rassegesetz der Nazis.
Margret Hamm setzt sich auch heute gegen Sterbehilfe ein. Sie ist stellvertretende Vorsitzende und Geschaeftsfuehrerin vom "Bund der 'Euthanasie'-Geschaedigten und Zwangssterilisierten e.V.". Irina Grabowski sprach mit ihr.
INFORADIO 14.07.08
Anm.: Dort als Audiostream zu hoeren.
http://www.inforadio.de/static/dyn2sta_article/290 /258290_article.shtml

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