Symbolfoto, © Sebastian Ständecke, www.pixelquelle.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen

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09.10.2007

Ist die größte Herausforderung des Rechtsstaates seit 1945 schon verloren?

Ist die größte Herausforderung des Rechtsstaates seit 1945 schon verloren?
Spieker: „Die Abtreibungsgesetzgebung fördert Gewalt gegen Frauen“


„Ziel des Rechtsstaats ist es, dass keiner seine privaten Interessen mit Gewalt durchsetzen kann!“ Daran erinnerte Professor Dr. Manfred Spieker aus Osnabrück in seinem Vortrag beim Herbstforum des Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen am 6. Oktober 2007 in Kassel. Dieses Ziel werde aber bei der gegenwärtig gültigen Abtreibungsgesetzgebung nicht erreicht. Im Gegenteil sei das Recht und die Rechtspraxis so konzipiert, dass es Frauen in Schwangerschaftskonflikten gerade zu erpressbar mache. Selbst wenn sie sich einer Beraterin offenbare, dass sie unter Druck des Kindsvaters oder von nahen Verwandten und Bekannten stehe, dürfe die Beraterin daraus weder die Konsequenz einer Anzeige gegen die Bedroher ziehen, da sie ja unter Schweigepflicht stehe, noch dürfe sie den Beratungsschein verweigern. Dieser sei aber für die straffreie Tötung des Kindes Voraussetzung. Hat die Beratene diese in Händen, wird der Druck der Umwelt aber noch stärker.

In der Diskussion über das Referat von Spieker wurde bekannt, dass es immer häufiger vorkomme, dass Männer bei der Beratungsstelle anriefen und einen Beratungsschein für die Frau oder Partnerin wolle. Andererseits sei es aber auch eines Rechtsstaates unwürdig, dass dem das Kind zeugenden Mann keinerlei Mitwirkungsrechte und Mitwirkungspflichten im Beratungsverfahren zustünde. Spieker sieht diesen Rechtsskandal als Folge einer veränderten Sicht der im Grundgesetz hoch gehaltenen Menschenwürde. Es werde weithin negiert, dass die Menschenwürde ein privilegierter Status sei, der dem Menschen nicht irgendwann einmal nach Verdienst und Bewußtsein zuwachse. Er sei vielmehr von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an dem Menschen zugesprochen. Die Achtung vor der Würde eines jeden menschlichen Wesens von allem Anfang an sei die Grundlage des Lebensrechts. Wenn die Menschenwürde aber nicht jedem gälte, gewönnen andere Rechtspositionen eine ihnen nicht zustehende Macht. „Wenn die Menschenwürde nicht jedem gilt, dann gewinnt das Selbstbestimmungsrecht, die Forschungsfreiheit und ein vermeintliches Recht auf Heilung gegenüber dem Lebensrecht des Ungeborenen“, so Spieker. Dies habe Papst Johannes Paul II zu recht als die sich ausbreitende „Kultur des Todes“ in Westeuropa gebrandmarkt. Es sei unbegreiflich, dass eine Gesetzgebung noch immer ungeprüft gelte, die so offensichtlich die Würde des Menschen beschädige und dazu hin auch noch die Gewalt gegen Frauen fördere.

Nicht einmal die Beobachtungspflicht des Gesetzes wird erfüllt. Warum schweigen die Kirchen?

Der Vorsitzende der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, Bernward Büchner, erinnerte an die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht von 1993 zum Lebensschutz ungeborener Kinder. Darin habe das Gericht die Beratungsregelung, deren bessere Schutzwirkung wissenschaftlich und rechtspolitisch umstritten sei, nur als Versuch gebilligt. Der Gesetzgeber müsse die Auswirkungen seines Beratungskonzepts beobachten. Es sei unbegreiflich, so Büchner, dass diese Beobachtungspflicht inzwischen seit 12 Jahren unerfüllt geblieben sei. Der bloße Blick auf die ohnehin nicht annähernd vollständige Abtreibungsstatistik sei hierfür völlig unzureichend. Eine von der Verfassung tolerierte Gesamtzahl von Abtreibungen gebe es nicht. Entscheidend sei vielmehr, ob die vom Bundesverfassungsgericht genannten Mindestvoraussetzungen eines verfassungskonformen Lebensschutzes erfüllt seien. Dies sei in mehrfacher Hinsicht nicht der Fall. Das Beratungskonzept lasse das einzelne ungeborene Kind schutzlos. Einer Reihe von Vorgaben, die die Verfassungsrichter gemacht hätten, sei nicht entsprochen. Es sei nicht gelungen, das Bewusstsein für das Unrecht einer vorgeburt- lichen Kindestötung zu erhalten, die weithin nicht nur als straflos, sondern als erlaubt gelte. Die Anforderungen an Inhalt, Durchführung und Organisation der Beratung seien nicht erfüllt, die Aufsicht über die Beratungsstellen unzulänglich, die Misserfolgsquote der Scheinberatung hoch. Ein Rechtsstaat, der nicht bereit sei, sich Rechenschaft über die Erfüllung seiner Schutzpflicht für das Leben Ungeborener abzulegen, verleugne sich selbst.

Spätabtreibungen machten nur das grundsätzliche Unrecht besonders deutlich.
Büchner bedauerte, dass es offenbar keine politische Bereitschaft gebe, dieses gravierende Unrecht zu beseitigen. Um den Skandal der Tötung ungeborener Kinder im späten Stadium einer Schwangerschaft, meist wegen einer vermuteten Behinderung, zu beseitigen, müsse die weite sozial-medizinische Indikation wieder auf eine rein medizinische zurückgeführt werden.

Es sei fatal, dass in letzter Zeit die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Rats der EKD die Wortwahl der Politiker übernommen und geäußert hätten, den § 218 als Paket nicht ganz aufschnüren zu wollen. Das erwecke den Eindruck, als wollten die Vertreter der Kirchen auf der vollständigen Erfüllung der Beobachtungspflicht des Gesetzgebers nicht länger bestehen.

Erheblicher Zweifel an der Richtigkeit der Abtreibungsstatistik sei u.a. deshalb geboten, weil die vollständige Erfüllung der Meldepflicht praktisch unüberprüfbar sei und „Ärzte, die sich am Töten ungeborener Kinder beteiligen, nichts weniger wollen, als dass das wahre Ausmaß dieses Geschehens bekannt wird. Durch die nicht vollständige Meldung helfen sie den schönen Schein zu wahren, dass es in Deutschland immer weniger Abtreibungen gibt..“

Trotz scheinbarer Ausweglosigkeit ermutigten die Referenten Büchner und Spieker die teilnehmenden Interessierten und Multiplikatoren in Sachen Lebensrecht, nicht nachzulassen die Stimme zu erheben und praktisch zu helfen. Der Vorsitzende des Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen, Hartmut Steeb, erinnerte in diesem Zusammenhang an den vor kurzem gefeierten Tag der Deutschen Einheit. Weder der 9. November 1989 mit der Maueröffnung noch der 3. Oktober 1990 als Tag der Deutschen Einheit wären denkbar, ohne den am 17. Juni 1953 erfolgten Aufstand in der damaligen DDR. Wer politisch etwas bewirken wolle, brauche eine Langzeitstrategie und dürfe sich nicht von scheinbarer Erfolglosigkeit bestimmen lassen. Außerdem lebten Christen nicht erfahrungs- und erfolgsorientiert. Sie müssten gegebenenfalls auch gegen die Mehrheit aufstehen und ihre Positionen vertreten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass es dabei bleibt, dass Verantwortliche nichts sehen, nichts hören und nichts wissen wollen, was sie zur Änderung ihrer Einstellung zum Abtreibungsrecht bewegen könnte.“

Das von Hartmut Steeb, Stuttgart und Gudrun Ehlebracht, Bielefeld geleitete Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen ist ein Netzwerk von Personen, die sich aus christlicher Verantwortung für das Lebensrecht jedes Menschen einsetzen. Die Geschäftsstelle ist in Stuttgart.

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