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21.05.2007

Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 9. Mai 2007 zum Thema "Stammzellenforschung"

Schriftliche Stellungnahme von RiAG Rainer Beckmann, Würzburg

Meine Stellungnahme beschränkt sich auf juristische Fragestellungen. Sie betrifft zu-nächst einen Teil der in Frage 19 angesprochenen Problematik, da diese nicht nur aus ethischer, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht in Bezug auf die Grundrechte: Menschenwürde, Recht auf Leben und Forschungsfreiheit zu würdigen ist (S. 1 - 11). In diesem Zusammenhang ist der rechtliche Status des menschlichen Embryos – als Grund-lage für die Beurteilung des deutschen Embryonenschutzkonzepts einschließlich der Re-gelungen des Stammzellgesetzes – zu klären.
Anschließend gehe ich auf die Fragen des „Themenblocks 3: Rechtliche Bewertung“ ein (S. 12 - 25).

19. ... Trifft das Stammzellgesetz eine ethisch angemessene Entscheidung im Hinblick auf die betroffenen Positionen (Menschenwürde, Recht auf Leben, Ethik des Heilens, Forschungsfreiheit)?
Das Stammzellgesetz (StZG) hat eine angemessene Entscheidung in Hinblick auf die Grundrechte Menschenwürde, Recht auf Leben und Forschungsfreiheit getroffen. Die so genannte „Ethik des Heilens“ ist keine gesondert zu berücksichtigende oder verfassungs-rechtlich identifizierbare Position. Das Ziel, Krankheiten heilen zu wollen, ist bei der Ab-wägung konfligierender Rechtspositionen – hier auf der Seite der Forschungsfreiheit – zu berücksichtigen.
a) Menschenwürde
Der menschliche Embryo ist Träger der Menschenwürde und hat daher Anspruch auf staatlichen Schutz. Es ist wichtig, sich dieser Grundaussage zu vergewissern, weil das StZG ein den Embryonenschutz ergänzendes Gesetz ist. Von denjenigen, die eine „Libe-ralisierung“ der Stammzellforschung fordern, wird häufig der grundrechtliche Status des Embryos übergangen, abgeschwächt oder ausdrücklich negiert.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Wortlaut der Verfassung: „Die Würde des Men-schen ist unantastbar“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG). Träger dieses Grundrechts ist somit „der Mensch“.
Die entscheidende Frage lautet daher: Ist der menschliche Embryo ein „Mensch“?

Die Frage nach der „Menschqualität“ des Embryos in vitro - zu der sich das Bundesver-fassungsgericht noch nicht ausdrücklich erklärt hat - wird auch in der Rechtswissenschaft intensiv erörtert. Im Zusammenhang mit extrakorporal erzeugten Embryonen wird der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter besondere rechtliche Bedeutung beigemes-sen. Da für den Zeitraum danach die Menschqualität des Embryos verfassungsgerichtlich anerkannt ist , soll allein die Bedeutung dieser Entwicklungsphase näher untersucht wer-den.

Die Nidation als Entwicklungsphase
Die Nidation des Embryos beginnt am 5. bis 6. Entwicklungstag und gilt etwa am 12. Tag als abgeschlossen. Während des Nidationsvorganges stellt der Embryo einen Kontakt mit der Gebärmutterschleimhaut her. Obwohl das Embryonalgewebe für den mütterlichen Körper immunologisch „fremd“ ist, findet keine Abstoßungsreaktion statt. Die genauen Mechanismen hierfür sind noch ungeklärt.
Funktionell handelt es sich bei der Nidation um den Übergang der Energieversorgung von der Eigenversorgung zur Fremdversorgung. Der Kontakt zur Gebärmutterschleimhaut wird von der äußeren Zellhülle („Trophoblast“) hergestellt. Die Trophoblastzellen dringen in die Gebärmutterschleimhaut ein und bilden im weiteren Verlauf die Plazenta. Über die Trophoblastzellen und die Plazenta erfolgt die Versorgung des Embryos mit Nahrung und Sauerstoff bis zur Geburt.
Während des Nidationsvorganges entsteht aus der inneren Zellmasse der Blastozyste allmählich eine Keimscheibe, auf der sich etwa am 15. Entwicklungstag der „Primitivstrei-fen“ bildet. Diese „Einstülpung“ legt die Rechts-links-Dimension fest. Am vorderen Ende des Primitivstreifens tritt eine wulstförmige Verdickung auf, der so gen. „Primitivknoten“. Dieser ist Ausgangspunkt für die Bildung des „Kopffortsatzes“, womit auch die Oben-unten-Dimension determiniert ist.
Nach der Bildung des Primitivstreifens endet die Möglichkeit der Mehrlingsbildung. Eineii-ge Mehrlinge können bis dahin auf verschiedenen Wegen entstehen. Die Teilung (Ab-spaltung) erfolgt entweder sehr früh im Zwei- bis Acht-Zell-Stadium, während der als „Blastozyste“ bezeichneten Entwicklungsphase (Aufteilung der inneren Zellmasse) oder erst später, wenn sich der Primitivstreifen bildet. Entstehen zwei Primitivstreifen und trennt sich die Keimscheibe nicht vollständig, kommt es zu so genannten „siamesischen Zwillin-gen“.
Die Beschreibung dieser Vorgänge zeigt keine kategoriale Änderung des Embryos. Alle Prozesse gehen kontinuierlich ineinander über. Von außen erfolgende „Eingriffe“ oder „Wesensänderungen“ sind auf biologisch-embryologischer Ebene nicht ersichtlich.

Ausschluss der Mehrlingsbildung/„Individuation“
In Zusammenhang mit der Einnistung des Embryos wird das Stichwort „Individuation“ ge-nannt, um den Beginn individuellen menschlichen Lebens zu markieren. Als Anknüp-fungspunkt hierfür dient der Ausschluss der Mehrlingsbildung nach Abschluss der Einnis-tung des Embryos und Auftreten des Primitivstreifens (s. o.). Es wird bezweifelt, ob bis zu diesem Zeitpunkt von der Existenz eines „Individuums“ gesprochen werden könne, da dieses Wesen noch „teilbar” sei.
Die natürliche Teilungsfähigkeit bzw. künstliche Teilbarkeit früher Embryonen steht aber in keinem Widerspruch zur Individualität des ungeteilten Embryos. Der Begriff „Individuum“ kommt aus der griechischen Naturphilosophie und bezeichnet den „kleinstmöglichen Teil einer Substanz, bei deren analytischer Zertrennung der Charakter dieser Substanz verlo-ren ginge ...“. Individualität in diesem Sinne steht also einem Teilungs-Begriff gegen-über, der zur Substanzzerstörung führt. Bei lebenden Organismen gibt es aber zwei ge-gensätzliche Arten der „Teilung“: die Zerstörung des Organismus durch Beschädigung der Ganzheit und die „Teilung“ im Sinne einer ungeschlechtlichen Vermehrung. Genau ge-nommen ist nur Ersteres eine Teilung, Letzteres dagegen eine Verdoppelung. Formalisiert könnte man dies so ausdrücken: bei echter Teilung entsteht aus X → 2 mal ½X, bei Ver-mehrung dagegen aus X → 2 mal X = X1 und X2.
Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch ist die Embryonalentwicklung nicht von „Tei-lungs-“, sondern von Vermehrungsvorgängen geprägt. Die erste Zelle „teilt“ sich nicht in zwei halbe Zellen, sondern vervielfältigt sich in zwei ganze Zellen. Wenn am Anfang der Embryonalentwicklung „totipotente Zellen“ existieren, die sich nach Ablösung von ihren Nachbarzellen zu vollständigen Exemplaren der Gattung Homo sapiens entwickeln kön-nen , oder wenn Zellverbände der inneren Zellmasse oder Teile der Keimscheibe eben-falls zur Ganzheitsbildung im Stande sind, dann liegt hierin eine (beim Menschen seltene) ungeschlechtliche Vermehrung, die an der Individualität des Ausgangsembryos nichts ändert. Alle Lebewesen, bei denen eine Vermehrung durch „Teilung“ vorkommt , waren auch vor dem Vermehrungsvorgang einzelne Exemplare ihrer Spezies („Individuen“). Das trifft auch für den menschlichen Embryo zu. Deshalb kann ihm im Frühstadium seiner Ent-wicklung, in der eine ungeschlechtliche Vermehrung möglich ist, der Charakter eines „In-dividuums“ nicht abgesprochen werden.
Die genetische Identität dieser eineiigen Mehrlinge ändert an ihrer Individualität nichts. Natürlich sind auch eineiige Zwillinge eigenständige Individuen. Zwillinge haben zwar die gleichen, aber doch je ihre eigenen Gene. „Trotz genetischer Identität ... sind eineiige Zwillinge kein Einling ...; infolgedessen ist genetische Identität auch kein Kriterium für ei-nen individuellen Menschen.“

„Vervollständigung des Entwicklungsprogramms“ durch die Mutter?
In Anlehnung an Ausführungen der Biologie-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard glauben einige Autoren, eine rechtlich erhebliche Zäsur in der embryonalen Ent-wicklung feststellen zu können. Erst mit der Nidation komme es zu einer „Vervollständi-gung des Entwicklungsprogramms“ . Offenbar gehen diese Autoren davon aus, dass die Selbststeuerung der menschlichen Frühentwicklung durch den Embryo während der Nida-tion eine wichtige Ergänzung von außen erfährt.
Die missverständlichen Ausführungen von Nüsslein-Volhard sind aber nicht so gemeint, dass dem genetischen Programm des Embryos während der Einnistung weitere Pro-gramminformationen hinzugefügt würden, was auch tatsächlich nicht der Fall ist. Gemeint ist vielmehr ein allgemeines „Entwicklungsprogramm“ , zu dem neben den im Embryo selbst angelegten Faktoren auch andere Entwicklungsbedingungen gehören, wie etwa die Einnistung und das Ausgetragenwerden durch die Mutter. Dies entspricht der Argumenta-tion der Mehrheit des Nationalen Ethikrates, das Entwicklungspotential des Embryos sei „in existentieller Hinsicht und in nicht ersetzbarer Weise von der Symbiose mit dem müt-terlichen Organismus“ abhängig , und der Meinung von Justizministerin Zypries, dem Embryo in vitro fehle „eine wesentliche Voraussetzung dafür, sich aus sich heraus zum Menschen oder - wie das Bundesverfassungsgericht es ... formuliert hat - „als“ Mensch zu entwickeln“.
Richtig ist, dass die Nidation eine existentielle Voraussetzung für die weitere Entwicklung des Embryos ist. Logisch betrachtet ist sie sogar - solange keine Möglichkeit zur Ektoge-nese besteht - eine notwendige Bedingung der Weiterentwicklung. Notwendig für das Ü-berleben sind aber auch viele andere Vorgänge, etwas das Einsetzen der Herztätigkeit, die Gehirnentwicklung, die Lungenreifung, die Geburt mit anschließendem Einsetzen der Spontanatmung, die weitere Nahrungs- und Sauerstoffversorgung etc. All dies gehört e-benfalls zu einem weit gefassten „Entwicklungsprogramm“ des Menschen. Entfällt eine dieser Bedingungen, ist das Weiterleben des Menschen nicht möglich. Ob die Entwick-lung bis dahin menschlich gewesen ist, hängt hiervon nicht ab. Notwendige Entwicklungs-bedingungen, die sich insbesondere auf die Nahrungs- und Sauerstoffzufuhr eines Lebe-wesens beziehen, haben auf sein Wesen als Exemplar einer bestimmten Spezies keinen Einfluss. Die These von der „Menschwerdung durch Einnistung“ findet keine Stützung in der Entwicklungsbiologie und der Embryologie. Für eine Art „Wesensverwandlung“ im Zuge der Einnistung gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Niemand konnte bis-lang darlegen, wie aus einem nicht-menschlichen „Etwas“ durch die Einnistung in die Ge-bärmutter plötzlich ein „Jemand“ wird, der von diesem Zeitpunkt an als Träger der Men-schenwürde anzusehen sei. Wo soll das „Menschliche“ im Zuge der Einnistung her-kommen - aus dem Gasaustausch oder dem Stoffwechsel über die Plazenta? Alle geneti-schen und epigenetischen Bedingungen haben ihre je eigene Bedeutung für das Gedei-hen des menschlichen Lebewesens. Sie führen aber nicht zu einer qualitativen Wesens-verwandlung während der Schwangerschaft.
Für den extrakorporalen Embryo ergibt sich keine andere Beurteilung. Zwar ist zur Fort-setzung der Entwicklung eine ärztliche Handlung notwendig , diese berührt aber den bio-logisch beschreibbaren Entwicklungsvorgang nicht. Der Embryo wird beim Embryotrans-fer lediglich räumlich in die Lage versetzt, den Einnistungsvorgang einzuleiten. Dieser selbst läuft auf natürliche Weise ab. Die Beteiligung des Arztes beim Embryotransfer ist - wie andere ärztliche Handlungen auch - nicht statusbestimmend in Bezug auf den Emb-ryo/den Patienten. Das gilt besonders dann, wenn die existenziell bedrohliche Lage, die durch den Arzt behoben wird, gleichfalls auf ärztliches Handeln zurückzuführen ist. Der Rücktransfer des Embryos in die Gebärmutter kann nur als moralische und rechtliche Verpflichtung jedes Arztes betrachtet werden, der außerhalb des Mutterleibes menschli-che Embryonen erzeugt.
Wenn weiterhin behauptet wird, der mütterliche Organismus „trägt Faktoren bei, die die Aktivität der Gene während der Entwicklung steuern“ , dann handelt es sich hierbei um eine fragwürdige Interpretation der entwicklungsbiologischen Fakten. Was mit diesen „steuernden Faktoren“ gemeint ist, wird nicht näher erläutert. Vermutlich ist der „embryo-maternale Dialog“ gemeint, die Interaktion zwischen dem mütterlichen und dem embryo-nalen Organismus . Von einer Art „Fremdsteuerung“ des Embryos durch den mütterli-chen Organismus bei der Nidation oder im weiteren Verlauf der Schwangerschaft ist aber weder in der Embryologie noch in der Entwicklungsbiologie etwas bekannt. Die einschlä-gigen Lehrbücher schweigen darüber.
Zusammengefasst ergibt sich, dass die Nidation keinen Anknüpfungspunkt für eine recht-lich unterschiedliche Bewertung menschlicher Embryonen bietet. Auch der extrakorporale Embryo, dessen Schutz durch das StZG (mittelbar) sichergestellt werden soll, ist daher Grundrechtsträger in Bezug auf Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG.

b) Recht auf Leben
Art 2 Abs. 2 S. 1 GG lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben ...“. „Jeder“ heißt hier offen-sichtlich „jeder Mensch“. Menschenwürde und Lebensrecht haben daher eine wesentli-che Gemeinsamkeit: Träger beider Grundrechtsgewährleistungen ist der Mensch.
Menschenwürde und Lebensrecht haben zwar den gleichen Grundrechtsträger, unter-scheiden sich aber beim Schutzbereich und den Einschränkungsmöglichkeiten: Art. 1 Abs. 1 schützt die Würde des Menschen und unterliegt keinen Schranken; Art. 2 Abs. 2 S. 1 schützt das Leben des Menschen und kann gem. Abs. 2 S. 3 durch Gesetz einge-schränkt werden.
Auf das Verhältnis von Menschenwürde und Lebensrecht kann hier nicht ausführlich ein-gegangen werden. Die These von der „Entkoppelung“ greift jedenfalls zu kurz. Diese Formulierung legt nahe, dass zwischen beiden Bereichen keine Berührungspunkte beste-hen (ent-koppeln = lösen der Verbindung). Dies ist aber keine logische Schlussfolgerung aus der Feststellung fehlender Identität. Wenn zwei Kreise nicht völlig deckungsgleich sind (Identität), heißt das nicht unbedingt, dass es keinerlei Überschneidung der Flächen gibt. Es kann vielmehr auch eine - mehr oder weniger große - Teildeckung vorhanden sein. Letzteres ist offensichtlich beim Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde der Fall. Da die Menschenwürde nicht auf einzelne Lebenssachverhalte beschränkt ist, muss es notwendigerweise zu Überschneidungen mit den Gewährleistungsbereichen an-derer Grundrechte kommen. Dieser Überschneidungsbereich dürfte beim Recht auf Le-ben wesentlich größer sein, als etwa bei der Versammlungsfreiheit oder dem Post- und Fernmeldegeheimnis. Gerade das Attribut der „Unantastbarkeit“ erfordert die Beschrän-kung der Reichweite des Menschenwürdeschutzes „auf einen absoluten Kernbereich menschlicher Existenz“. Diese Bedingung ist in erster Linie bei Tötungshandlungen er-füllt.
Wo die Grenzen dieser „Schnittmenge“ liegen, muss auch unter Berücksichtigung der Schranken des Lebensrechts (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) bestimmt werden. Zwar gibt es si-cherlich Tötungshandlungen, die nicht gleichzeitig als Menschenwürdeverletzung anzuse-hen sind. Es wäre aber falsch, „aus der fehlenden Deckungsgleichheit zwischen Men-schenwürdegarantie und dem Lebensrecht auf ein weites Auseinanderfallen beider Schutzbereiche zu schließen - als wäre nichts selbstverständlicher, als die Vereinbarkeit von Tötungshandlungen mit der Menschenwürde“. Nimmt man die anerkannten Be-schränkungen des Rechts auf Leben zum Maßstab - genannt werden hier insbesondere das Recht auf Notwehr, der „finale Rettungsschuss“ und die Dienstpflichten für Soldaten, Polizeibeamte oder Feuerwehrleute - dann scheidet eine Zulässigkeit der Tötung menschlicher Embryonen aus: Embryonen greifen niemanden an, sind keine Schwerver-brecher und haben keine gefährliche Dienstpflicht übernommen.

c) Forschungsfreiheit
Art. 5 Abs. 3 GG garantiert die Freiheit der Forschung dem Wortlaut nach uneinge-schränkt. Es ist jedoch anerkannt, dass auch „schrankenlos“ gewährte Grundrechte so genannten verfassungsimmanenten Schranken unterliegen, die sich insbesondere aus anderen Grundrechten ergeben können – hier aus der Menschenwürde und dem Recht auf Leben. Die Forschungsfreiheit muss daher zurückstehen, wenn die Ausübung der Forschungstätigkeit zur Tötung von Menschen führt. Deshalb ist eine Herstellung von hESZ-Zellen durch den „Verbrauch“ von Embryonen nicht zulässig.
Das Stammzellgesetz hat ausweislich seiner ungekürzten Bezeichnung die „Sicherstel-lung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschli-cher embryonaler Stammzellen“ zum Ziel. Hintergrund dieser Zielsetzung ist es, „die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen“ (§ 1 StZG).
Der Gesetzgeber hat – wie bereits beim Embryonenschutzgesetz – den menschlichen Embryo als Träger der Menschenwürde und des Rechts auf Leben qualifiziert und daher (Straf-)Vorschriften zu seinem Schutz für erforderlich gehalten. Der unmittelbare Schutz menschlicher Embryonen gegen eine Verwendung, die nicht ihrer Erhaltung dient – wie z. B. die Zerstörung zum Zweck der Stammzellgewinnung – wird durch das ESchG gewähr-leistet (§ 2 Abs. 1 ESchG). Eine Gefahr für menschliche Embryonen geht aber auch da-von aus, dass außerhalb Deutschlands Embryonen zerstört werden, um die dabei gewon-nenen Stammzellen für die Forschung in Deutschland zu verwenden. Sollen solche hESZ-Zellen nach Deutschland importiert werden, kann eine Mitverursachung des zugrunde liegenden Embryonenverbrauchs durch die in Deutschland ausgeübte Forschungstätigkeit nicht ausgeschlossen werden. Die Forschung an menschlichen hESZ-Zellen ist daher mit einer (abstrakten) Gefährdung menschlicher Embryonen behaftet, die nur durch ein grundsätzliches Import- und Verwendungsverbot sicher ausgeschlossen werden kann (s. § 4 Abs. 1 StZG). Die Ratio des StZG liegt darin, eine Gefährdung der Menschenwürde durch das Import- und Verwendungsverbot von hESZ-Zellen zu verhindern und damit die Konsistenz der Rechtsordnung – in Bezug auf das EschG – zu wahren. Soweit eine sol-che Gefährdung nicht mehr verhindert werden konnte, weil die Stammzellgewinnung durch Embryonenzerstörung schon stattgefunden hatte (vor dem Stichtag 1. Januar 2002), hat sie der Gesetzgeber – unter weiteren Bedingungen – zugelassen (s. § 4 Abs. 2; 5 ff. StZG).
Unter der Voraussetzung, dass der menschliche Embryo Träger der Grundrechte auf Ach-tung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben ist (vgl. § 1 StZG), kann kein Zweifel daran bestehen, dass weitgehende Beschränkungen der Forschung an hESZ-Zellen zu-lässig sind – auch Einschränkungen, die Gefährdungen der Menschenwürde ausschlie-ßen sollen. Wenn beispielsweise die Gefahr bestünde, dass aus illegitimen Menschenver-suchen stammendes menschliches Gewebe nach Deutschland importiert wird, um daran Forschung zu betreiben, dann wäre ein grundsätzliches Importverbot als Einschränkung der Forschungsfreiheit sicherlich berechtigt, um keinen Anreiz für derartige Praktiken im Ausland zu liefern. Es ist ja schon die Einfuhr bzw. Verwendung von besonders streng geschützten Arten von Tieren oder Pflanzen verboten, um ihre Existenz zu sichern.

Die gegebene Beschränkung der Forschungsfreiheit durch die Regelungen des StZG wird auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht. Sie verfolgt zunächst eindeutig einen legitimen Zweck, nämlich den Schutz menschlicher Embryonen (s.o.). Weiterhin sind die Strafvorschriften des StZG, die den Import und die Verwendung von hESZ-Zellen beschränken, geeignet das Ziel des StZG zu erreichen, von Deutschland ausgehende Anreize zur Embryonenvernichtung zu verhindern.
Diese Strafvorschriften sind auch erforderlich, da es kein milderes Mittel gibt, das genau-so wirksam wie das eingesetzte die Gefährdung der Menschenwürde menschlicher Emb-ryonen verhindern könnte. Bloße Appelle oder die Beteiligung an der Ausarbeitung inter-nationaler Regelungen zum Embryonenschutz haben bislang keinen durchgreifenden Erfolg erkennen lassen. Das im StZG enthaltene Import- und Verwendungsverbot ist da-gegen wirksam, da auf diesem Weg ausgeschlossen werden kann, dass für die Interes-sen der deutschen Forschung hESZ-Zellen im Ausland produziert werden. Ob andere Staaten durch eine andere Verhaltensweise sowieso eine Nachfrage erzeugen, kann für die deutsche Rechtslage nicht entscheidend sein. Sonst wäre es praktisch unmöglich in irgendeinem relevanten Bereich eine inhaltlich im Gegensatz zum Ausland stehende Re-gelung zu erlassen. Es ergäbe sich ein „Zwang zum Gleichziehen“, den es gerade in e-thisch umstrittenen Feldern nicht geben kann.
Eine unverhältnismäßige Einschränkung der Forschungsfreiheit liegt auch deshalb nicht vor, weil die mit der Stammzellforschung angestrebte Bekämpfung schwerer Krankheiten im Wege der Grundlagenforschung an den zugelassenen Stammzell-Linien betrieben werden kann. Die nach dem StZG eröffneten Möglichkeiten der Forschung mit hESZ-Zellen wurden in der Wissenschaft angenommen. Es existieren gegenwärtig 21 geneh-migte Forschungsvorhaben mit importierten hESZ-Zellen. Darüber hinaus bestehen an-dere Lösungswege, um die therapeutischen Ziele der hESZ-Zellen-Forschung zu errei-chen. Dass allein die hESZ-Zellen-Forschung bahnbrechende Fortschritte bringen wird, ist nicht nachgewiesen. Die Forschung mit anderen Stammzellarten, die keine grundlegen-den ethischen Bedenken unterliegen (adulte Stammzellen, Stammzellen aus Nabel-schnurblut etc.), ist ebenfalls Erfolg versprechend.

d) „Ethik des Heilens“
Hier kommt nun die so genannte „Ethik des Heilens“ ins Spiel. Es gehe bei der Forschung mit hESZ-Zellen, so die Verfechter dieser „Ethik“, nicht um irgendwelche Erkenntnisse, sondern um die Erforschung von Therapiemöglichkeiten, die künftig zur Lebensrettung schwer kranker Menschen eingesetzt werden könnten. Indirekt wird damit versucht, Men-schenwürde und Lebensrecht der künftig von neuen Therapien profitierenden Patienten auf Seiten der Forschungsfreiheit in die Waagschale zu werfen. Doch bei dieser Gegen-überstellung ist zu berücksichtigen, dass Rechtspositionen ganz unterschiedlicher Qualität aufeinander treffen. Während auf der einen Seite aktuelle Rechte betroffen sind (Men-schenwürde und Lebensrecht existierender menschlicher Embryonen), handelt es sich auf der anderen Seite lediglich um Heilungs- und Überlebenschancen. Die embryonen-verbrauchende Forschung ermöglicht ja nicht per se die Heilung von Patienten, sondern stellt nur eine – keineswegs sichere – Chance dar, eventuell in Zukunft Therapien entwi-ckeln zu können. Deshalb müssen die Rechte menschlicher Embryonen prinzipiellen Vor-rang vor möglichen künftigen Heilungschancen haben. „Niemand hat einen moralischen, geschweige denn menschenrechtlichen Anspruch darauf, dass fremdes menschliches Leben aufgeopfert wird, damit zu seinen Gunsten medizinischer Fortschritt erzielt werden kann“.
Aber selbst wenn der Verbrauch von Embryonen bereits aktuelle Heilungserfolge ermögli-chen würde, könnte er nicht legitimiert werden, da eine Aufrechnung von Leben gegen Leben weder nach „Wertigkeit“ noch nach der „Anzahl“ zulässig wäre: „Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Le-bens. ... Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche Leben - auch das erst sich entwickelnde Leben - ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Gefährdung von menschlichen Embryonen durch ein Import- und Nutzungsverbot von nach dem Stichtag erzeugten hESZ-Zellen auszuschließen, zulässig und auch verhält-nismäßig ist. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass mögliche künftige therapeuti-sche Anwendungen es nicht rechtfertigen können, aktuell existierende Grundrechtsträger zu vernichten oder einem Vernichtungsrisiko auszusetzen.


Themenblock 3: Rechtliche Bewertung
24. Wie ist der Umgang mit humanen embryonalen Stammzellen in anderen europä-ischen Ländern rechtlich geregelt? Wie beurteilen Sie in diesem Vergleich die deutsche aktuelle Regelung?
a) Der Umgang mit humanen embryonalen Stammzellen ist in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Während in einigen Ländern im Kern keine nennenswerten Restriktionen bestehen (wie z. B. in Großbritannien), ist der Umgang in anderen Ländern stark eingeschränkt (z. B. in Deutschland). Explizite gesetzliche Regelungen bestehen nur teilweise.
Frankreich:
In Frankreich ist seit Juli 2004 die Gewinnung von hESZ-Zellen aus „überzähligen Embry-onen“ und die Forschung an hESZ-Zellen) zulässig. Eine Überprüfung der Regelung ist nach 5 Jahren vorgesehen.
Spanien:
Seit Oktober 2003 ist es auch in Spanien erlaubt, aus „überzähligen Embryonen“ Stamm-zellen zu gewinnen.
Italien:
Nach dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz vom Februar 2004 ist in Italien die For-schung an Embryonen unzulässig, wenn sie nicht einen konkreten Nutzen für den Embryo bringt. Die Gewinnung von hESZ-Zellen ist somit verboten. Die Einfuhr embryonaler Stammzellen ist jedoch nicht ausdrücklich untersagt.
Polen:
In Polen werden Embryonen in vitro prinzipiell wie Embryonen in vivo geschützt. Die Ge-winnung von hESZ-Zellen und auch deren Import sind unzulässig.
In Europa ist die Rechtslage zum Umgang mit hESZ-Zellen am eindeutigsten in Großbri-tannien geregelt:
Grundlage für den Umgang mit hESZ-Zellen ist der „Human Fertilisation and Embryology Act“ aus dem Jahr 1990. Dieses Gesetz stellt den Umgang mit menschlichen Embryo-nen unter einen allgemeinen Genehmigungsvorbehalt (Sec. 3 Abs. 1). Voraussetzung für die Nutzung von Embryonen ist immer die Zustimmung der Personen, von denen die Keimzellen stammen, aus denen der Embryo entstanden ist (Sched. 3 Abs. 6 (3) ). Aus-geschlossen ist die Nutzung, sobald sich der so genannte Primitivstreifen entwickelt hat (maximal 14 Tage nach der Befruchtung) .
Nach der Rechtslage in Großbritannien sind sowohl die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus überzähligen und ausdrücklich für Forschungszwecke erzeugten Emb-ryonen als auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen zulässig. Seit 2001 werden menschliche Embryonen für die Stammzellforschung verwendet. Aktuell gibt es 33 For-schungsvorhaben zur Embryoforschung, davon 15 zur Herstellung von Stammzell-Linien aus menschlichen Embryonen und eines zum so genannten „therapeutischen Klonen“.
Als mögliche Forschungsziele kommt ein weiter Themenkreis in Betracht:
- Fortschritte in der Behandlung von Unfruchtbarkeit
- Erkenntnisgewinn über die Ursachen von Erbkrankheiten
- Erkenntnisgewinn über die Ursachen von Fehlgeburten
- Entwicklung von effektiveren Verhütungsmethoden
- Entwicklung von Methoden zur Entdeckung von Gen- oder Chromosomenanomalien in Embryonen vor der Einnistung
- Erkenntnisgewinn über die Embryonalentwicklung
- Erkenntnisgewinn über schwerwiegende Krankheiten
- Anwendungsmöglichkeiten solcher Erkenntnisse zur Behandlung oder Bekämpfung schwerwiegender Krankheiten

b) Die deutsche Regelung ist im Vergleich zu den Regelungen in Großbritannien, Spanien oder Frankreich sehr restriktiv. Diese Feststellung bedeutet aber nicht, dass die deutsche Rechtslage deshalb von vornherein „schlechter“ wäre oder der Rechtslage im Ausland angepasst werden müsste.
- Die Tatsache, dass es im europäischen Ausland Regelungen gibt, die z. B. die Nut-zung von Embryonen zu Forschungszwecken und die Forschung an hESZ-Zellen in weitem Umfang erlauben, sagt sachlich nichts darüber aus, ob diese Regelungen im Vergleich zur deutschen Rechtslage die besseren sind. Nur aus dem Blickwinkel der Forschung betrachtet, mag eine „forschungsfreundliche“ Regelung gleichzeitig auch die „bessere“ sein. Aus Sicht des Embryonenschutzes, der auf den Verfassungsmaxi-men der Menschenwürde und des Lebensschutzes aufbaut, ist eine Regelung, die eine Tötung von Embryonen und die Nutzung der dabei gewonnenen Zellen in weitem Um-fang zulässt, dagegen die schlechtere Regelung.
- Neben sehr „forschungsfreundlichen“ (z. B. Großbritannien) finden sich auch restriktive ausländische Regelungen (Italien, Polen). Welche Schlussfolgerungen sind hieraus zu ziehen? Ohne Berücksichtigung der Gründe, weshalb bestimmte Regelungen im Aus-land „liberal“ oder „restriktiv“ sind, kann nicht entschieden werden, an welcher Rege-lung sich Deutschland orientieren sollte.
- Wäre der Hinweis auf „liberalere“ Regelungen im Ausland für den deutschen Gesetz-geber beispielgebend, dann würde dies auf längere Sicht ein stetiges Abgleiten auf ein immer niedrigeres Schutzniveau nach sich ziehen. Ein solcher Automatismus kann a-ber nicht richtig sein.
Zu Recht hat der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau das Problem unterschiedli-cher Sichtweisen in unterschiedlichen Ländern auf den einfachen Nenner gebracht: “Ich kenne diesen Satz: ‘Die Anderen tun es doch auch’. Aber wir sagen doch schon unseren Kindern, dass sie tun müssen, was richtig ist, ganz gleich, was andere machen.“ Da die geltende Rechtslage in Deutschland aus Gründen des Menschenwürde- und Lebens-schutzes berechtigt ist (s. hierzu Frage 19 und die folgenden Antworten), ergibt sich aus der Existenz anderer Regelungen im Ausland kein unmittelbarer Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber.

25. Ist eine Änderung des Stammzellgesetzes aus rechtlicher Sicht für Sie notwen-dig? Wenn ja, welche Änderungen des StZG wären aus rechtlicher Sicht im Hinblick auf die zu schützenden Schutzgüter vertretbar? (Abschaffung des Stichtags, nachlaufender Stichtag, Verschiebung des Stichtags – Abschaffung der Strafandrohung; Begrenzung der Strafandrohung auf das Inland – Erweite-rung des Einfuhrzwecks auf therapeutische, diagnostische Anwendungen)
a) Eine Änderung des Stammzellgesetzes ist aus rechtlicher Sicht nicht notwendig.
Notwendig wäre eine Änderung aus rechtlicher Perspektive nur dann, wenn man das Stammzellgesetz als verfassungswidrig beurteilen müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall (s. Antwort zu Frage 19).

b) Die in der Fragestellung genannten Änderungsvorschläge für das StZG sind überwie-gend nicht vertretbar.
Abschaffung des Stichtages
Eine Abschaffung des Stichtages - wie im FDP-Gesetzentwurf gefordert -, käme einer Aushöhlung des StZG gleich. Die mit dem StZG verbundene Zielsetzung könnte nicht mehr verwirklicht werden. Zur Begründung verweise ich auf die Antwort zu Frage 26 (s. u.).
Nachlaufender Stichtag/Verschiebung des Stichtags
Ein „nachlaufender Stichtag“ oder eine Verschiebung des Stichtages führen zum gleichen Ergebnis, wie die Abschaffung des Stichtags. Die Grundidee des StZG liegt darin, eine von Deutschland ausgehende Veranlassung der Embryonenzerstörung im Ausland zur Gewinnung von hESZ-Zellen zu vermeiden. Eine solche Veranlassung kann aber nicht ausgeschlossen werden, wenn der potentielle Hersteller von Stammzellen damit rechnen kann, dass die von ihm hergestellten hESZ-Zellen von deutschen Forschungsinstitutionen abgenommen werden können. Dabei ist es unerheblich, ob die Anpassung der deutschen Rechtslage einmalig erfolgt (Verschiebung des Stichtages) oder der Stichtag sich laufend dem Herstellungszeitpunkt der hESZ-Zellen anpasst („nachlaufender Stichtag“). Wenn man allerdings zwischen einer Verschiebung des Stichtags und einem „nachlaufenden“ Stichtag wählen müsste, wäre eine (einmalige) Verschiebung vorzugswürdig. Aber auch eine solche Verschiebung signalisiert, dass man in Deutschland grundsätzlich zur Anpas-sung des Stichtages bereit ist. Ein potentieller hESZ-Zellen-Erzeuger wird dann auch mit einer künftig möglichen Abnahme der Zellen von deutschen Forschern rechnen können.
Abschaffung der Strafandrohung
Eine generelle „Abschaffung der Strafandrohung“ würde dazu führen, dass hESZ-Zellen in größerem Umfang sanktionslos für Forschungszwecke eingeführt und verwendet werden könnten. Die so entstandene Nachfrage deutscher Forscher hätte zur Folge, dass ver-stärkt Embryonen im Ausland zur Herstellung von Stammzell-Linien zerstört werden. Dies läuft dem Zweck des StZG zuwider.
Begrenzung der Strafandrohung auf das Inland
Es ist zu unterscheiden, was eine Begrenzung der Strafandrohung „auf das Inland“ be-deuten soll. Eine Beschränkung in der Weise, dass nur das Handeln im Inland - unabhän-gig von der Art der Tatbeteiligung – strafbar sein soll, ist nicht vertretbar, da hierdurch praktisch ein „Sonderstrafrecht“ für deutsche Stammzellforscher entstünde. Eine Ein-schränkung der allgemeinen strafrechtlichen Regeln über die Strafbarkeit bei Auslandsta-ten oder Taten mit Auslandsbezug für den Bereich der Stammzellforschung würde zu ei-ner Bevorzugung dieses Personenkreises führen. Da ohnehin nur in bestimmten Fällen eine „Auslandsstrafbarkeit“ gegeben ist (s. u. Frage 31), sollten die allgemeinen Regeln beibehalten werden.
Versteht man unter „Begrenzung der Strafandrohung auf das Inland“, dass der Schutzbe-reich des StZG nicht über das Staatsgebiet Deutschlands hinausreichen soll, dann geht diese Forderung ins Leere, da der Schutzbereich bereits auf das Inland beschränkt ist (s. u. Frage 31).
Erweiterung des Einfuhrzwecks auf therapeutische oder diagnostische Anwendun-gen
Eine Erweiterung des Einfuhrzwecks auf therapeutische oder diagnostische Anwendun-gen ist grundsätzlich denkbar, erscheint aber gegenwärtig nicht erforderlich. Konkrete therapeutische oder diagnostische Anwendungen von hESZ-Zellen sind gegenwärtig nicht in Sicht. Die Forschung an hESZ-Zellen bewegt sich noch im Bereich der Grundlagen-forschung.

26. Halten Sie die aktuelle Stichtagsregelung mit Blick auf den vom StZG intendier-ten Embryonenschutz für notwendig?
Ohne die bestehende Stichtagsregelung kann der vom StZG intendierte Embryonen-schutz nicht gewährleistet werden.
Wie bereits ausgeführt (Frage 25 a)) kann das Gefahrenpotential, das durch eine in Deutschland durchgeführte Stammzellforschung für Embryonen erzeugt wird, die im Aus-land zur Stammzellgewinnung benutzt werden, nur dadurch ausgeschlossen werden, dass die aus diesen Embryonen gewonnenen Stammzellen nicht nach Deutschland im-portiert werden dürfen. Dies gilt für alle hESZ-Zellen, die nach der Entscheidung des Bun-destages über den Stammzellenimport (Januar 2002) aus Embryonen gewonnen wurden. Nur der Import solcher hESZ-Zellen, die bereits vor dem Stichtag hergestellt worden wa-ren, kann keine Gefährdung menschlicher Embryonen mehr verursachen und kann daher auch genehmigt werden.
Eine andere Sichtweise wäre aus tatsächlicher Sicht nur dann begründet, wenn man es als sicher annehmen könnte, dass der Import von hESZ-Zellen nach Deutschland keinen (zusätzlichen) Anreiz für die Embryonenvernichtung im Ausland darstellen kann. Dies kann aber keineswegs generell unterstellt werden. Deutschland ist eine hoch entwickelte Industrienation und nimmt auch in der medizinischen Grundlagenforschung einen Spit-zenplatz ein. Von daher wäre bei einer Freigabe des Imports von hESZ-Zellen durchaus mit einem Nachfrageschub zu rechnen. Darüber hinaus setzt die genannte Annahme vor-aus, dass man sich mit der Embryonenvernichtung zum Zwecke der Stammzellgewinnung abfindet und als unveränderlich hinnimmt. Hierzu besteht aber kein Anlass. Die verbrau-chende Embryonenforschung hat sich noch keineswegs in allen Ländern durchgesetzt und ist auch in den Ländern, wo sie – meist unter einschränkenden Bedingungen – zuläs-sig ist, umstritten. Die bisherige ablehnende Haltung Deutschlands zur Embryonenfor-schung (s. ESchG) ist nur dann glaubwürdig vertretbar, wenn man durch die im eigenen Zuständigkeitsbereich erlassenen Regelungen deutlich macht, dass menschliche Embry-onen generell nicht für fremdnützige Zwecke getötet werden sollen.
Der primär vom ESchG gewährleistete Schutz menschlicher Embryonen war dem Ge-setzgeber bei Erlass des StZG bekannt. Er hat sich bewusst für eine Ergänzung des Schutzes entschieden, indem er die Nutzung von Zellen, die nach deutschem Recht nicht hätten gewonnen werden dürfen, weitgehend ausgeschlossen hat.

27. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zum StZG?
Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zielt scheinbar auf die „bloße“ Abschaffung eines Stichtages ab. Tatsächlich wird hierdurch aber der Kern des StZG ausgehöhlt. Damit kommt der FDP-Gesetzentwurf mehr oder weniger einer Abschaffung des StZG gleich. Das vom Gesetzgeber mit dem StZG intendierte Ziel – prägnant zusammengefasst in der Formel: „Für deutsche Forschung hat kein Embryo sein Leben zu lassen“ – kann ohne den Stichtag nicht erreicht werden.
Die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, nämlich eine „erhebliche Erweiterung“ der Möglich-keiten der deutschen Stammzellforschung zu erreichen , läuft dem wesentlichen Schutz-weck des Gesetzes entgegen, eine Veranlassung der Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen zu vermeiden (siehe § 1 Ziff. 2 StZG). Durch die Abschaffung des Stichtages wird eine solche, zur Tötung von Embryonen führende Veranlassung der Gewinnung von hESZ-Zellen ermöglicht.
Im Übrigen überzeugt die Begründung des Gesetzentwurfs nicht:
- In der Begründung zu Art. 1 Nr. 1 StZÄndG-E (S. 4) wird versucht, dem Gesetzgeber einen Erklärungsirrtum unterzuschieben. Der Gesetzgeber habe die Veranlassung der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen im Ausland nur „vermeiden“, aber nicht „unmöglich“ machen wollen. Diese - vorsichtig ausgedrückt – gewagte Interpretation ist schon vom Wortsinn her nicht nachvollziehbar. „Vermeiden“ zielt darauf ab, ein be-stimmtes Verhalten zu verhindern. Diesen Sinn hat auch die Stichtagsregelung. Durch die Stichtagsregelung wird vermieden, dass von Deutschland eine Veranlassung des Embryonenverbrauchs (zum Zweck der Stammzellgewinnung) ausgeht. „Unmöglich“ wird dadurch eine solche Veranlassung nicht, sie wird nur illegal. Durch entsprechende Sanktionen (s. § 13 StZG) wird versucht, die Veranlassung des Embryonenverbrauchs zu vermeiden.
- Nach Auffassung der FDP-Fraktion soll es sich um „ein Gebot der Ethik“ handeln, die Möglichkeiten zur Heilung schwerer Krankheiten durch die Stammzellforschung auszu-schöpfen . Forschung unterliegt jedoch immer gewissen Einschränkungen, wie dies z. B. hinsichtlich der Mitwirkung nicht einwilligungsfähiger Personen allgemein anerkannt ist. Das gilt auch für Forschungen, die das Töten von Menschen voraussetzt. Da es sich bei menschlichen Embryonen um die ersten Erscheinungsformen des menschli-chen Lebewesens handelt, sind der Forschung gerade beim Umgang mit Embryonen enge Grenzen gesetzt. Der mit der Stammzellenforschung verfolgte gute Zweck heiligt nicht jedes Mittel.
- Der Vorwurf der „Doppelmoral“ ist ebenfalls unbegründet. Die Formulierung im FDP-Gesetzentwurf, „eigentlich will man keine Embryonen töten, aber die getöteten werden benutzt“ (S. 4), beschreibt nicht den Sachverhalt der Stichtagsregelung im StZG, son-dern den Rechtszustand, der bestehen würde, wenn es das StZG nicht gäbe.
Im ESchG kommt seit 1991 der Wille zum Ausdruck, dass keine Embryonen zu For-schungszwecken getötet werden sollen. Gleichwohl hätten zunächst – mangels entge-genstehender Rechtsvorschriften – hESZ-Zellen im Ausland produziert und zum Zweck der Forschung nach Deutschland importiert werden können. Diesen Zustand hätte man mit einer gewissen Berechtigung als „Doppelmoral“ im Sinne des FDP-Gesetzentwurfs bezeichnen können. Durch das StZG und seine Stichtagsregelung wurde aber ein Schlussstrich gezogen, indem eine mögliche Nutzung von hESZ-Zellen in Deutschland als Anreiz für die Tötung von Embryonen im Ausland ausgeschlossen wurde. Durch die Gestattung des Imports und der Nutzung von hESZ-Zellen, die vor dem Stichtag ge-wonnen worden waren, kann logisch keinerlei Anreiz mehr für die Tötung von Embryo-nen gegeben werden.
Der FDP-Antrag ist in seinem Kern (Abschaffung des Stichtages) darauf gerichtet, ei-nen Rechtszustand herzustellen, der exakt dem Vorwurf der „Doppelmoral“ in der Be-gründung des FDP-Antrags entspricht. Ohne Stichtag könnten künftig jedwede hESZ-Zellen, die im Ausland produziert worden sind oder noch produziert werden, sanktions-los eingeführt und in der Forschung verwendet werden, obwohl gleichzeitig das ESchG die Tötung der Embryonen zur Stammzellgewinnung verbietet. Bei Verwirklichung des Gesetzgebungsvorschlags der FDP könnte man zu Recht behaupten: „eigentlich will man keine Embryonen töten, aber die getöteten werden benutzt“.
Dem werden die Verfasser des Antrags entgegenhalten, dass sie eigentlich eine Tö-tung von Embryonen zu Forschungszwecken für berechtigt halten. Dann sollten sie aber auch konsequent sein und eine Änderung des ESchG fordern, statt ihre wahren Absichten hinter einer bloßen Abschaffung des Stichtags im StZG zu verstecken. Der Hinweis, hinsichtlich einer strafbaren Beteiligung an der Gewinnung von embryonalen Stammzellen und dem damit verbundenen Embryonenverbrauch im Ausland bleibe der Schutz des ESchG „in vollem Umfang bestehen“ , ist daher politisch irreführend.

28. Wie beurteilen Sie den Vorschlag, nach fünf Jahren eine Evaluation der Aus-wirkungen des StZG zwingend vorzusehen?
Eine Evaluation von Gesetzen ist grundsätzlich zu befürworten, egal, ob sie in einem Ge-setz zwingend vorgeschrieben ist oder nicht.
Die vom FDP-Gesetzentwurf vorgesehene Einfügung eines § 15 a im StZG (s. StZÄndG-E Art. 1, Ziff 3 ) hat jedoch keine Evaluierung der Auswirkungen des StZG zur Folge, sondern stellt die Verpflichtung auf, die Änderungen „dieses Gesetzes“ – also des Stammzelländerungsgesetzes – unter bestimmten Bedingungen nach Ablauf von 5 Jah-ren „zurückzunehmen“. Diese Regelung ist gesetzestechnisch verfehlt, weil der Gesetz-geber dieser Legislaturperiode nicht den künftigen Bundestag zur Vornahme gesetzgebe-rischer Handlungen verpflichten kann.
Nimmt man den Schutz menschlicher Embryonen ernst, sollte sich die vom FDP-Gesetzentwurf vorgesehene Überprüfung nach Ablauf von fünf Jahren, ob die Erweite-rung des zulässigen hESZ-Zellen-Reservoirs wieder rückgängig gemacht werden soll, von selbst verstehen.
Allerdings besteht hier der Verdacht, dass der (unverbindlichen) zeitlichen Befristung eher eine Alibifunktion zukommt. Sie soll die beabsichtigte, scheinbar geringfügige Änderung des StZG – es werden nur wenige Worte gestrichen und ein Absatz eingefügt – noch un-bedeutender erscheinen lassen, indem eine (praktisch unwahrscheinliche) Revision in Aussicht gestellt wird.

29. Wie bewerten Sie die aktuelle Stichtagsregelung mit Blick auf das Grundgesetz: Schafft die aktuelle Regelung einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den konfligierenden Grundrechten?
Ich verweise hierzu auf die Beantwortung der Fragen 19, 25 und 26.
Die aktuelle Stichtagsregelung stellt einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen dem gebotenen Embryonenschutz, der Ausfluss der Menschenwürde und des Rechts auf Le-ben ist, und der Forschungsfreiheit dar. Bei der konkreten Abwägung hat die Forschungs-freiheit zurückzutreten. Die beabsichtigten positiven Forschungsziele können auch ohne die Nutzung neuerer hESZ-Zellen betrieben werden (anhand der älteren hESZ-Zell-Linien, anderer Stammzellarten oder gänzlich anderer Forschungsansätze). Demgegenüber kann der Schutz menschlicher Embryonen im Bereich der Stammzellforschung vom deutschen Gesetzgeber in maximal wirksamer Weise nur dadurch sichergestellt werden, dass jeder Anreiz zur Tötung von Embryonen für die deutsche Forschung vermieden wird.

30. Welche Alternativen halten Sie rechtlich für vertretbar?
Keine.
Im FDP-Gesetzentwurf wird als Alternative zur Abschaffung des Stichtages die Zulassung der Gewinnung von hESZ-Zellen in Deutschland genannt. Hierdurch würde der Schutz menschlicher Embryonen noch wesentlich schärfer beeinträchtigt, als durch die Ände-rungsvorschläge im StZÄndG-E.
Die bereits erwähnten Alternativen einer Verschiebung des Stichtags oder eines „nachlau-fenden Stichtags“ sind Scheinalternativen (s. oben, Antwort zu Frage 25 b)).

31. Wie beurteilen Sie das Risiko für deutsche Forscher, sich bei internationalen Kooperationen im Bereich der Stammzellforschung gem. § 13 StZG strafbar zu machen? Ist die Regelung des § 13 StZG diesbezüglich hinreichend bestimmt?
a) Da sich die Fragestellung auf internationale Kooperationen bezieht, sind nur die Fall-gestaltungen zu betrachten, in denen deutsche Forscher grenzüberschreitend oder aus-schließlich im Ausland mit ausländischen Forschern im Bereich der Einfuhr oder der Ver-wendung (den beiden Tatalternativen von § 13 Abs. 1 S. 1 StZG) zusammenarbeiten. Außerdem wird vorausgesetzt, dass die Beteiligung deutscher Forscher an Forschungs-vorhaben im Ausland in solchen Staaten stattfindet, in denen das betreffende Vorhaben legal ist.
- Wirkt ein deutscher Forscher allein im Ausland an einem nur dort durchgeführten For-schungsprojekt mit hESZ-Zellen (als Täter oder Teilnehmer) mit, macht er sich nicht strafbar. Die Anwendung von § 13 Abs. 1 S. 1 StZG mit der Tatalternative „Verwenden“ scheitert daran, dass sich der Schutzbereich des StZG als solcher nicht auf das Aus-land bezieht.
Zwar ergibt sich aus § 13 i.V.m. § 1 Nr. 2 StZG als politische Zielrichtung des StZG, dass ein Embryonenverbrauch im Ausland für die deutsche Forschung verhindert wer-den soll (s. o.). Die Formulierung in § 1 Nr. 2 StZG „von Deutschland aus“ legt aber schon nahe, dass der strafrechtliche Schutzbereich des StZG auf das Inland bezogen ist. Der Schutzgedanke zugunsten im Ausland befindlicher Embryonen spiegelt sich in den Strafbestimmungen nicht wider. Der Tatbestand setzt formal am Fehlen einer Genehmigung an, die allein von einer inländischen Behörde erteilt werden kann. Auch die Begehungsalternativen „Einfuhr“ bzw. „Verwendung“ haben deutlichen Inlandsbe-zug, da unter „Einfuhr“ das Verbringen von hESZ-Zellen in das deutsche Staatsgebiet und unter „Verwendung“ die Forschung an hESZ-Zellen in Deutschland zu verstehen ist. Daher ist insgesamt nicht von einer vom Gesetzgeber gewollten Erstreckung des strafrechtlichen Schutzbereiches auf das Ausland auszugehen.
- Veranlasst ein Forscher von Deutschland aus als Mittäter oder mittelbarer Täter, dass im Ausland hESZ-Zellen ohne Genehmigung nach dem StZG verwendet werden, macht er sich gem. §§ 13 Abs. 1 S. 1 StZG i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB strafbar (Inlandstat-ort). Stellt sich das Handeln des Forschers als bloße Teilnahme dar (Anstiftung oder Beihilfe), liegt keine Strafbarkeit vor, da es an einer rechtswidrigen Haupttat fehlt. Der Haupttäter handelt im Ausland und damit außerhalb des Schutzbereiches des StZG.
- Veranlasst ein Forscher von Deutschland aus als Mittäter oder mittelbarer Täter im Rahmen internationaler Kooperation die nicht genehmigte Einfuhr von hESZ-Zellen, macht er sich gem. § 13 Abs. 1 S. 1 StZG strafbar. Dasselbe gilt für Anstiftung und Beihilfe zur Einfuhr, da sich die Haupttat wg. § 9 Abs. 1 StGB als Inlandstat darstellt (Erfolgsort im Inland).
Gleiches gilt, wenn der Forscher als Täter oder Teilnehmer vom Ausland aus handelt, da die Einfuhr von hESZ-Zellen einen inländischen Tatort (Erfolgsort) hat (§ 9 Abs. 1 StGB).
- Bewirkt ein Forscher vom Ausland aus mittäterschaftlich oder als mittelbarer Täter die nicht genehmigte Verwendung von hESZ-Zellen in Deutschland, macht er sich gem. §§ 13 Abs. 1 S. 1 StZG, 9 Abs. 1 StGB strafbar (Erfolgsort im Inland). Strafbarkeit besteht auch, wenn der Forscher im Ausland zur nicht genehmigten Verwendung von hESZ-Zellen im Inland anstiftet oder Hilfe leistet (§§ 13 Abs. 1 S. 1 StZG, 9 Abs. 2 S. 1 StGB; Inlandstat für den Teilnehmer deshalb, weil die Haupttat im Inland stattfindet).
Die aufgezeigten Strafbarkeitsrisiken betreffen nicht nur Deutsche, sondern prinzipiell auch Forscher anderer Nationalität.
Soweit im FDP-Gesetzentwurf ausgeführt wird, es solle durch die Einfügung von § 13 Abs. 3 (Nichtanwendbarkeit von § 9 Abs. 2 S. 2 StGB) „deutschen Forschern zumindest ermöglicht werden, an internationalen Forschungskooperationen teilzunehmen, ohne sich strafbar zu machen“ , ist festzustellen, dass dieses Ziel hierdurch nicht generell erreicht wird. Die hier genannten Strafbarkeitsrisiken würden bestehen bleiben, da sie von der Anwendbarkeit des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB unabhängig sind.
Andererseits ist auch ersichtlich, dass eine straflose Forschungskooperation mit ausländi-schen Forschern und Institutionen unter Beachtung der Strafvorschriften des StZG durch-aus möglich ist. Dies gilt insbesondere für die Forschungstätigkeit an im Ausland belege-nen hESZ-Zellen, dem Anwendungsfall mit der vermutlich größten Praxisrelevanz.

b) Die Regelung des § 13 StZG ist mit allen ihren Tatbestandsmerkmalen („ohne Geneh-migung“, „embryonale Stammzellen“, „einführt“ bzw. „verwendet“) genauso bestimmt wie zahlreiche andere Strafvorschriften, in denen diese Merkmale verwendet werden. Insbe-sondere kann anhand der Strafbestimmungen des StZG der Einzelne in Grenzfällen zu-mindest das Risiko einer Bestrafung erkennen. Die Schwierigkeit für den juristischen Laien – also auch den Stammzellforscher –, im Rahmen internationaler Kooperationen strafbare von nicht strafbaren Verhaltensweisen zu unterscheiden, liegt darin, dass es sich um Fallgestaltungen mit Auslandsbezug und unterschiedliche Beteiligungsformen handelt, die unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen können. Hierbei bereitet vor allem die Systematik der im Allgemeinen Teil des StGB enthaltenen Vorschriften über den Ort der Tat und die Geltung des Strafrechts bei Auslandstaten (§§ 5 ff. StGB) Probleme. Diese Probleme sind nicht unlösbar. Die Rechtslage ist für den Laien umso komplizierter, je allgemeiner die Fragestellung ist (wie z.B.: „Ist die Mitwirkung an internationalen Koope-rationen in der Stammzellforschung strafbar“). Geht es dagegen um die Beurteilung einer bestimmten Verhaltensweise im Rahmen eines konkreten Projekts, kann das strafrechtli-che Risiko auch sehr präzise benannt werden. Da es zahllose juristische Streitfragen – gerade bei strafrechtlichem „Neuland“, wie es das StZG darstellt – gibt, kann es letzte Sicherheit aber nicht geben. Diese Problematik ist allgemeiner Natur und wurzelt nicht in der Strafvorschrift des § 13 StZG.

32. Welchen Regelungsbedarf sehen Sie für eine Strafandrohung in Abgrenzung zum Embryonenschutzgesetz?
Ich sehe keinen Regelungsbedarf hinsichtlich der Strafandrohung „in Abgrenzung“ zum ESchG. Die Strafvorschriften des ESchG und des StZG betreffen deutlich von einander abgegrenzte Tatbestände.
Das ESchG zielt u. a. auf die Verhinderung der Erzeugung und der Verwendung mensch-licher Embryonen zu Forschungszwecken (s. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 1 ESchG). Die Gewinnung von hESZ-Zellen aus menschlichen Embryonen ist daher in Deutschland strafbar und kann – in Ergänzung zur Antwort auf Frage 31 – auch im Rahmen internatio-naler Kooperationen in mehrfacher Hinsicht strafbar sein. Demgegenüber beziehen sich die Strafandrohungen nach dem StZG lediglich auf die Einfuhr bzw. Verwendung von be-reits gewonnenen hESZ-Zellen.

33. Welche Alternativen zur Regelung des § 13 StZG wären für Sie rechtlich ver-tretbar (z. B. Abschaffung der Strafandrohung, Beschränkung auf das Inland)?
Ich sehe keine Alternativen zu den Strafbestimmungen des § 13 StZG – es sei denn, man will das StZG unwirksam machen.

Abschaffung der Strafandrohung
Durch die Abschaffung der Strafdrohung entstünde ein massives Glaubwürdigkeitsdefizit, da die Vorschriften des StZG sanktionslos übertreten werden könnten. Die Vorschriften zum Stichtag und zur Genehmigung stünden lediglich auf dem Papier. Die Folge wäre, dass hESZ-Zellen auch ohne Genehmigung in größerem Umfang für Forschungszwecke eingeführt und verwendet werden könnten. Dies würde wiederum die Nachfrage nach frischen Stammzell-Linien erhöhen und zur Tötung menschlicher Embryonen zum Zwecke der Stammzellgewinnung beitragen.
Es stünde aber nicht nur die Glaubwürdigkeit des StZG auf dem Spiel, sondern das ge-samte bisherige Konzept des Embryonenschutzes, das vor allem auch im ESchG zum Ausdruck gekommen ist. Bei Wegfall der Strafandrohungen im StZG wäre der Vorwurf berechtigt, dass man zwar die Tötung von Embryonen verhindern wolle (s. ESchG), aber ihre Nutzung praktisch schrankenlos zulasse (Vorwurf der „Doppelmoral“).
Es gibt kaum einen einigermaßen rechtlich relevanten Bereich, in dem der Gesetzgeber ohne Strafvorschriften auskommt, vor allem dann nicht, wenn es um grundrechtsrelevante Fragen geht. Selbst im Tierschutz- und Pflanzenschutz gibt es zahlreiche Strafvorschrif-ten, obwohl die Grundrechtsrelevanz hier deutlich geringer ausgeprägt ist. Ernst gemeinte Vorschriften, die Gefährdungen menschlicher Embryonen abwehren sollen, können nicht ohne strafrechtliche Sanktionen wirksam sein.
„Beschränkung auf das Inland“
Eine „Beschränkung auf das Inland“ liegt hinsichtlich der Strafbestimmungen des StZG bereits vor, da sich der Schutzbereich des StZG nicht auf das Ausland erstreckt. Dies bedeutet aber nicht, dass jedes Verhalten mit Bezug auf das Ausland straflos wäre (s. o. Antwort zu Frage 31 a)).
Die im FDP-Gesetzentwurf vorgesehene Einfügung eines Abs. 3 in § 13 StZG (s. Art. 1 Ziff. 2 StZÄndG-E), mit dem die Anwendung von § 9 Abs. 2 S. 2 StGB ausgeschlossen würde, läuft praktisch leer, ist aber aus allgemeinen Erwägungen abzulehnen. Eine solche Sonderklausel für Strafvorschriften nach einem Spezialgesetz ist nicht sinnvoll. Zu Recht ist bereits im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen worden, dass eventuelle In-konsistenzen der Strafbarkeit bei Straftaten mit Auslandsbezug ihre Wurzel in § 9 Abs. 2 S. 2 StGB haben , und nicht in den Strafbestimmungen einzelner spezialgesetzlicher Regelungen. Die ursprüngliche Gesetzesfassung, die eine mit dem heutigen FDP-Gesetzentwurf identische Formulierung als § 13 Abs. 3 StZG enthielt , wurde vor Verab-schiedung wieder geändert (§ 13 Abs. 3 StZG wurde gestrichen) , so dass die allgemei-nen Bestimmungen des StGB über Auslandstaten auch in Bezug auf das StZG angewen-det werden können.


Würzburg, 28. April 2007

gez. Rainer Beckmann

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