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27.06.2015

Sterbehilfe-Debatte im Bundestag: Nur Sensburg/Dörflinger-Gesetzentwurf verharmlost nicht

Ein Kommentar von Bernward Büchner

Berlin-Freiburg (kath.net/pl) Im Deutschen Bundestag stehen vier Gesetzentwürfe zur Beratung an, die der Suizidbeihilfe durch Ärzte, Sterbehelfer oder Angehörige mehr oder weniger weitgehend Raum geben möchten, indem sie ausnahmslos straffrei bleiben oder nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Strafe bedroht bzw. sogar erlaubt werden soll. Wie lässt sich dies rechtfertigen und insbesondere mit der Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben in Einklang bringen?

Die Selbsttötung eines Menschen wird vielfach als Akt der Selbstbestimmung, d. h. als Ausübung der grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit verstanden. Dieses Grundrecht schützt jedoch allenfalls das Handeln des sich selbst Tötenden, nicht auch das eines dabei Helfenden. Ob der Entschluss zum Suizid wirklich selbstbestimmt und nicht wie häufig auf einer psychischen Krankheit beruht, ist überdies sehr fraglich und gerade die bekundete Bereitschaft anderer zur Hilfe, die den Sterbewilligen in seiner Meinung bestärkt, sein Leben sei nicht mehr lebenswert, kann für die Entscheidung, aus dem Leben scheiden zu wollen, womöglich ausschlaggebend sein. Deshalb kann es dem Staat, der zum Schutz des menschlichen Lebens verpflichtet ist, nicht verwehrt sein, die Suizidbeihilfe zu verbieten und unter Strafe zu stellen.

Nach dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Reimann, Hintze, Prof. Dr. Lauterbach u. a. soll in das Bürgerliche Gesetzbuch eine Regelung eingefügt werden, nach welcher ein Patient unter den genannten Voraussetzungen die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen könnte. Begründet wird dies insbesondere mit der Berufsausübungsfreiheit der Ärzte (Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 GG) sowie der ärztlichen Gewissensfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG).

Was die Berufsausübungsfreiheit betrifft, trifft es zu, dass zwar die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (§ 16) ein Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid vorsieht, jedoch nur 10 der 17 Ärztekammern diese Musterregelung übernommen haben und insoweit eine Rechtsunsicherheit im ärztlichen Standesrecht besteht. Nach Meinungsumfragen soll eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegenüber einer ärztlichen Suizidassistenz positiv eingestellt sein und auch eine relative Mehrheit befragter Ärzte eine solche Möglichkeit bejahen, wenn auch nicht bereit sein, selbst von ihr Gebrauch zu machen.

Offenbar ist heute nicht mehr allgemein bewusst, was die Aufgabe eines Arztes ist, nämlich Krankheiten möglichst zu heilen und Leiden zu lindern, nicht aber den Leidenden zu töten. Als das NS-Regime diese Grenze überschritt und Ärzte sich für die Tötung „lebensunwerten Lebens“ in Dienst nehmen ließen, hielt im November 1941 der Pathologe Franz Büchner in der Aula der Universität Freiburg unter dem Titel „Der Eid des Hippokrates“ eine Vortrag, in dem er u. a. ausführte: „Der einzige Herr, dem der Arzt zu dienen hat, ist das Leben. Der Tod ist, ärztlich gesehen, der große Gegenspieler des Lebens wie des Arztes. Würde man aber dem Arzt zumuten, die Tötung unheilbar Erkrankter anzuregen und durchzuführen, so hieße das, ihn zu einem Pakt mit dem Tode zu zwingen. Paktiert er aber mit dem Tode, so hört er auf, Arzt zu sein.“

Nach dem erwähnten Gesetzentwurf sollen Ärzte zwar nicht selbst töten, bei einem von Patienten selbst vollzogenen Suizid jedoch assistieren dürfen. Auch das ist ein Paktieren mit dem Tod. Abgesehen davon wäre kaum begründbar, weshalb der Arzt auf eine erlaubte Assistenz beim Suizid beschränkt sein soll, wenn der Patient auch mit ärztlicher Hilfe nicht in der Lage ist, sich selbst zu töten, oder wenn der Suizidversuch qualvoll misslingt. Wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, bleibt es deshalb auch nicht selten bei der Beihilfe zum Suizid, wird vielmehr zur ärztlichen Tötung auf Verlangen übergegangen. Eine solche Tötung soll in Deutschland zwar strafbar bleiben. Ob ein Patient sich mit erlaubter Hilfe eines Arztes selbst getötet hat oder dieser ihn auf sein Verlangen, wird sich jedoch in aller Regel nicht klären lassen. Um dem ärztlichen Handeln klare Grenzen zu setzen und nicht eine solche Grauzone zu eröffnen, ist es nicht nur legitim, sondern angesichts der bestehenden Unklarheit im Standesrecht sogar geboten, die Berufsausübung der Ärzte dahin gesetzlich zu regeln, dass ihnen die Beihilfe zum Suizid bei Strafe verboten ist.

Wäre die ärztliche Suizidassistenz durch die Gewissensfreiheit gedeckt, könnte sie, weil dieses Grundrecht vorbehaltlos garantiert ist, nicht von den im Gesetzentwurf genannten Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Vor allem aber wird verkannt, dass sich niemand auf seine Gewissensfreiheit berufen kann, wenn es um das Töten menschlichen Lebens geht. Deshalb hat beispielsweise das Bundesverfassungsgericht im Abtreibungsurteil von 1993 klargestellt, dass „die Frau, die sich nach Beratung zum Abbruch entschließt, für die damit einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht etwa eine grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen“ kann. Genauso wenig kann dies ein Arzt, der einem Patienten Beihilfe zum Suizid leisten möchte.

Gleichwohl ist die Vorstellung verbreitet, jeder müsse als Konsequenz einer „Gewissensentscheidung“ tun dürfen, was er mit seinem Gewissen glaubt vereinbaren zu können, so auch ein Arzt einem Patienten oder jeder einem anderen beim Suizid helfen.

Der einzige Gesetzentwurf, der einer um sich greifenden Tendenz zur Verharmlosung und Liberalisierung der Suizidbeihilfe wirksam begegnen würde, ist von den Abgeordneten Dörflinger und Prof. Sensburg vorgelegt worden. Es bleibt zu hoffen, dass er eine breite Unterstützung und im Parlament die erforderliche Mehrheit findet.


Bernward Büchner war bis zum Eintritt in den Ruhestand (2002) Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht in Freiburg und von 1985 bis 2013 Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht (Köln).

Der Beitrag erschien zuerst auf www.kath.net

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